Auenland liegt in der Eifel
Mal etwas anderes
Kennen Sie das? – Da sieht man einer Unternehmung mit gemischten Gefühlen entgegen. Doch dann wird es viel besser, als vorher gedacht. Und im Nachhinein ist man froh und dankbar, daran teilgenommen zu haben. Genau so erging es mir am Freitag, den 1. September 2023. Auf dem Programm stand eine Alpaka-Wanderung in der hohen Eifel. Hierzu hatte mich Lifespring eingeladen – verbunden mit der Bitte, einen Blog-Artikel über meine dabei gesammelten Eindrücke zu verfassen. Anlass zu diesem Event war das Bedürfnis des Lifespring-Teams, denjenigen, die zum ausgefallenen Sommerfest bereits zugesagt hatten, ein Äquivalent zu bieten.
Lui, mein späterer Wegbegleiter (© F. Wende)
Als ich die Idee zum ersten Mal hörte, war ich ebenso neugierig wie begeistert. „Alpaka-Wanderung, das ist ja mal etwas anderes.“, dachte ich. Und da ich meist über ernste Krankheiten schreibe, entwickelte sich eine gewisse Vorfreude auf dieses eher entspannte Thema.
Fette Regentropfen am Morgen
Doch dann brach der Morgen des besagten Freitags an. Beim ersten Blick aus dem Fenster zeigten sich dunkle Wolken, die Regen-schwer am Himmel lasteten. „Fette“ Tropfen prasselten auf den Asphalt und hinterließen beim Aufprall Handteller große Pfützen. Mit anderen Worten: Es schüttete in Strömen. Ich stellte mir vor, wie ich später von einem dieser zur Familie der Lamas gehörenden Kameltiere durch den verschlammten Waldboden gezogen würde. Wahrscheinlich würde es mich verächtlich bespucken und dabei innerlich grinsen. Denn Alpakas sind für ihre widerstandfähige Wolle bekannt. Damit sind sie nicht nur bestens für das raue Hochgebirgsklima ihrer Heimat Chile, sondern erst recht für einen sommerlichen Eifelregen gerüstet.
Doch um es direkt vorwegzunehmen: Es kam genau umgekehrt. Das Wetter wurde während der Wanderung immer wärmer und sonniger, sodass ich später derjenige war, der lachte. Denn Alpakas können ihr Fell nun mal nicht ausziehen, ich meine wetterfeste Kleidung aber schon. Genug der „Schadenfreude“. Sie kam ohnehin nicht auf. Denn dafür war das Zusammentreffen mit diesen eher scheuen und zurückhaltenden Vertretern Südamerikas viel zu berührend.
Drei trotzen dem Wetter – dennoch
Zunächst aber waren meine Motivation und Laune an diesem Morgen angesichts der widrigen Umstände deutlich getrübt. So muss es auch den anderen Eingeladenen gegangen sein. Denn als ich gegen 12.30 auf dem Klinikgelände ankam, traf ich – deutlich abweichend von der ursprünglich avisierten Teilnehmerzahl – lediglich auf zwei weitere „Wanderwillige“: den ehemaligen Patienten Andreas (Name aufgrund kliniküblicher Diskretion geändert) sowie Sporttherapeutin Nadia Ranz.
Mir tat das Ganze für Lifespring leid. Denn im Aufenthaltsraum war in gewohnt liebevoller Weise vom Küchenteam eigens für diesen Anlass ein Fingerfood-Buffet hergerichtet worden. Schon deshalb war ich froh, dass ich meine morgendlichen Bedenken beiseitegeschoben und mich auf den Weg nach Bad Münstereifel gemacht hatte.
Familiäre Willkommenskultur als Balsam für die Seele
Da unsere Gruppe somit sehr überschaubar blieb, konnten wir uns nicht nur reichlich am Buffet bedienen, sondern auch hinlänglich miteinander bekannt machen. Andreas, etwa Mitte bis Ende vierzig, schlank, hochgewachsen sowie eher der ruhige Typ mit wachem Blick, erzählte, dass er erst kürzlich wieder bei Lifespring gewesen sei. Nach längerer Abstinenzphase das zweite Mal – aufgrund eines Rückfalls in Sachen Alkohol. Nadia wiederrum beeindruckte mich durch ihre offene, natürliche und menschenzugewandte Art, die sich wohltuend von der Über-Animation manch anderer im Sport- und Fitnessbereich Tätigen abhebt. Während der Zeit unserer gemeinsamen Unternehmung blieb sie ganz sie selbst und kehrte nie die „Therapeutin“ heraus. Das fand ich sehr sympathisch.
Zwischendurch ließen sich immer wieder weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lifespring sehen, um uns zu begrüßen, so zum Beispiel Tanz-Therapeutin Mardshana Schaub. Später gesellte sich auch Geschäftsführer Emre Nal zu uns. Eine solch familiäre Willkommenskultur ist Balsam für die Seele. Doch davon sollte es später noch mehr geben.
Wir ziehen es durch!
Angesichts der Umstände fragte Emre uns schließlich, ob wir drei wirklich an der Wanderung festhalten wollten. Andreas berichtete, dass er früher hinreichend Erfahrungen als Reitlehrer gesammelt habe. Nun sei er neugierig, wie es mit den Alpakas sei. Dass ihm seine Pferde-Kenntnisse dabei später noch sehr zugute kommen würden, wusste er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Nadia erzählte, dass sie sich auf Nachfrage im Team spontan als Begleitung für die Alpaka-Wanderung zur Verfügung gestellt habe. Sie sei also ebenfalls innerlich gewappnet. Und ich bin ohnehin jemand, der einmal Geplantes auch durchzieht, komme, was wolle. Außerdem wartete vor der Tür bereits der extra gecharterte Bus. Von daher wurden wir uns schnell einig, dass es nun Zeit sei, aufzubrechen und unsere Verabredung mit südamerikanischem Migrationshintergrund einzuhalten.
Er hätte es uns übelgenommen. Filou Alf drängelt sich vor und will unbedingt mit. (© F. Wende)
Galant half uns Heinz, der Chef von Busreisen Lemper, in den für drei Fahrgäste üppig bemessenen Bus. Und schon ging es los Richtung Hümmel – durch die eifeltypisch geschwungene Landschaft mit ihren saftig grünen Hügelkuppen und bewaldeten Senken. Uns blieb Zeit genug, erneut unsere Themen aus dem Aufenthaltsraum aufzugreifen.
Gespräche im Bus
So sprachen wir darüber, dass es nicht leicht sei, dauerhaft trocken zu bleiben. Wie schon häufiger, warb ich dafür, besser von einer akuten Episode anstatt von einem „Rückfall“ zu reden. Zum einen entwertet der Begriff „Rückfall“ die dazwischen liegenden Abstinenzphasen. Das finde ich kontraproduktiv und demotivierend. Zum anderen ist dieser Terminus viel zu negativ konnotiert. Immer schwingt bei seiner Verwendung etwas von „selbst schuld“, „Versagen“ und „Schwäche“ mit. Indirekt bestätigte Andreas diese Sichtweise. Denn er beklagte, dass ihn besonders sein Vater in diesem Sinn stark stigmatisiere.
Dabei ist es keineswegs die Ausnahme, dass bei einer Suchterkrankung wiederholt Akutphasen aufflammen. Selbst nach einem qualifizierten Entzug mit anschließender Suchttherapie und/oder Rehabilitation liegen die Chancen auf eine mindestens fünf Jahre anhaltende Abstinenz bei etwa 50 Prozent. Das vergleichsweise hohe Rückfallrisiko bei einer stofflichen Abhängigkeit zeugt also weniger von einem Mangel an gutem Willen, sondern zählt wohl eher zum Krankheitsbild.
Ein durch und durch tiefenentspannter Gastgeber
Als selbst Betroffener fesseln mich solche Schicksale und Themen. Von daher empfand ich die Fahrt zu unserem Abenteuer als sehr kurzweilig. Als wir um 14 Uhr in Marthel, einem Ortsteil von Hümmel, ankamen, erwartete uns eine Hand voll Häuser, das war’s. Dennoch erwies sich unser erster Halt an einem Biohof als falsche Adresse. Von dort wies man uns dann den Weg über eine Kuppe leicht abwärts Richtung Stoffelsbach zu unserem eigentlichen Ziel.
Jens Stahl (© F. Wende)
Unspektakulär erschien das schlichte aber akkurat gepflegte Grundstück unseres Gastgebers Jens Stahl schon bald auf der rechten Seite. Dieser kam uns gleich nach unserer Ankunft die Einfahrt entgegen. Dabei merkte man ihm seine Freude darüber an, dass wir uns trotz der zunächst widrigen Wetterumstände zu ihm aufgemacht hatten. Die „geschrumpfte“ Teilnehmerzahl nahm er gelassen zur Kenntnis. Überhaupt machte Jens einen durch und durch tiefenentspannten Eindruck. Lässig lehnte er mit beiden Unterarmen und übereinander gelegten Händen auf der Oberkante des Schmiede-eisernen Tors.
Das war nicht immer so: Jens erzählt von seinem Werdegang
Mit fast schon freundschaftlich vertrauter Offenheit erzählte er, wie er zu dem gekommen sei, was er heute macht. Über zwanzig Jahre habe er als Baggerführer geschafft. Zunehmend seien Druck und Arbeitsbelastung so gestiegen, dass er es zuletzt am Feierabend gerade noch geschafft habe, zu duschen, zu essen und danach erschöpft ins Bett zu fallen. Am nächsten Tag dann der gleiche Trott wieder von vorn, dies sei kein Leben mehr gewesen. Schließlich wären Herzprobleme aufgetreten, und im Zuge dessen sei dann auch noch die Kündigung seines verständnislosen Arbeitsgebers ins Haus geflattert. Da sei ihm klar geworden, dass er etwas ändern müsse.
Dies alles habe sich in der Zeit zugetragen, als im Rahmen des Jahrhunderthochwassers vor zwei Jahren Ahr und Erft über die Ufer getreten seien. Dadurch hätten drei Alpakas ihr „Zuhause“ verloren. Die Halterin sei verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Heimstatt für ihre tiertherapeutisch eingesetzten Schützlinge gewesen. Außerdem hätte sie krankheitsbedingt ihren Lebensgefährten verloren und deshalb woanders noch einmal ganz von vorn beginnen wollen. Da habe er sich spontan dazu entschlossen, für die bisherige Herden-Mama einzuspringen und die drei Tiere dauerhaft bei sich aufzunehmen. Rasch sei der Gedanke gereift, die Herde auf nunmehr dreizehn Tiere aufzustocken und mit ihnen ebenfalls tiergestützte Aktivitäten zur Erbauung und Freude anderer Menschen anzubieten. Das sei der Anfang seiner neuen Existenz gewesen.
Jens machte auf mich einen sehr reflektierten Eindruck – jemand, der weiß, was er tut. Zudem beschrieb er mit klaren Worten und profunder Sachkunde sein jetziges Metier. Dabei strahlte er gleichzeitig viel Herzenswärme und Sanftheit aus. Dies alles kriegte ich zunächst nicht mit meinem wohl viel zu vorurteilsbehafteten Bild von einem Baggerführer zusammen. Insgeheim begann ich mich dafür zu schämen. Dessen ungeachtet war ich beeindruckt. Und ich freute mich nun umso mehr auf unseren Flirt mit diesen langhalsigen „Teddybären“ aus den südlichen Anden.
Wildblumen-Snack ebnet den Weg zur ersten Annäherung
Als wir die Talsohle des Stoffelbachs erreichten und uns auf das linker Hand gelegene Gehege zu bewegten, hatten uns die aufmerksamen Augen der Alpakas längst erspäht. Mit hochgestreckten Köpfen hatten sie sich am Gatter versammelt. War es nun Wachsamkeit, die für dieses Spezies typisch ist, wie wir später erfuhren? Oder Neugier? Oder einfach nur das Wissen, das zusammen mit neuen Zaungästen immer auch ein leckerer Wildblumen-Snack kommt?
Die Herde erwartet uns bereits. (© F. Wende)
Ich glaube, es war eher das Letztgenannte. Denn kaum hatten wir nach Durchlaufen des schleusenartigen Portals den Eimer mit dem Futter geöffnet, fielen gierige Mäuler über die dabei entnommenen Portionen in unseren Händen her. Andere steckten ihre Schnauze lieber direkt in den runden Behälter. Zwischendurch wurde immer wieder auf beste Lama-Art gespuckt, um allzu vorwitzigen Mitessern klar zu signalisieren: „Hey, lass mir auch noch etwas über!“
Eingehende Besichtigung Geländes
Nach dieser ausladenden Fütter-Orgie erfolgte eine ausführliche Besichtigung des weitläufigen Geländes. Dabei erklärte uns Jens, dass es auch hier viele Flutschäden gegeben habe. Denn der nun so beschaulich dahin plätschernde Stoffelsbach hätte seinerzeit ebenfalls zerstörerisch gewütet. Doch mithilfe seiner ursprünglichen Ausbildung im Bereich Garten- und Landschaftsbau sowie hohem Arbeitseinsatz hätte er alles so herrichten können, wie es heute aussehe.
Der Stoffelsbach (© F. Wende)
Einladend präsentierte sich in der Nähe des Bachlaufs eine Feuerstelle mit Schwenkgrill. Rund herum waren ebenmäßig bearbeitete Baumstümpfe als Sitzgelegenheit gruppiert. Auch einen schützenden Unterstand gab es. Und natürlich viel Weidefläche. Dabei erfuhren wir, dass Alpakas besonders Flur-schonende Verhaltensweisen haben. So rupfen sie beim Grasen keine kompletten Büschel mit Wurzel aus, sondern beißen lediglich die Halme ab. Auch verrichten sie ihre Notdurft nur an ganz bestimmten Stellen, sodass die Exkremente leicht zu entfernen sind.
Übrigens lernten wir bei dieser Gelegenheit auch, dass das sogenannte Alpaka Gold als Düngemittel hoch im Kurs steht.
„Gestatten?“ – 13 Hengste stellen sich vor
Nun wurde uns die Herde vorgestellt: Joda, Olli, Gandalf, Georg, Fritz, Comet, Lui, Jasper, Max, Benny, Toni, Alf und Joshi – alles Hengste also. Denn man wolle nicht züchten, so Jens weiter, und außerdem seien die Männchen auf diese Weise untereinander friedlicher. Bis auf den Senior und den Junior der Truppe hatten wir nun die freie Wahl, wen wir mitnehmen wollten. Gesetzt war der ebenso kräftige wie souveräne Joshi als Begleiter von Jens und Leittier. Denn ohne ihn würden uns die anderen nicht folgen, erfuhren wir. Alf, die Nummer zwei und der Filou der Truppe, machte unmissverständlich klar, dass er auch mitwolle, in dem er sehr bestimmt beim Zusammentreiben nach vorne drängte. Seiner nahm sich Andreas an. Nadias Wahl fiel auf den verträglichen Comet, während ich mich für den anfangs recht scheuen Skeptiker Lui entschied.
Comet frisst Nadia bereits aus der Hand (© F. Wende)
Mit geübten Griffen legte Jens den von uns ausgewählten Tour-Begleitern das Geschirr mit Leine an, und dann ging es endlich los. Zunächst folgten wir einem parallel zum langgezogenen Gehege verlaufenden und von dichten Baumkronen überwucherten Waldweg. Für Alf, Comet und Lui begann nun eine sensible Phase. Denn sich von der Herde und dem vertrauten Revier zu entfernen und dabei auch noch von Fremden an der Leine geführt zu werden, löste bei den Dreien zunächst Unbehagen aus.
Mit jedem Schritt wächst das Zutrauen
So kamen wir anfangs eher stockend voran, zumal Leithengst Joshi etwas müde schien. Jens mutmaßte, er hätte wohl Nachtwache gehalten. Das sei bei Alpakas so üblich. Doch wäre der Herdenboss nicht dabei gewesen, hätten wir es wohl deutlich schwerer gehabt, unsere Weggefährten zum Weitergehen zu motivieren. So aber wurden unsere Geduld und unser Einfühlungsvermögen belohnt, und man spürte, wie mit jedem Schritt das Zutrauen wuchs und die Bewegungsabläufe flüssiger wurden.
Waldfarn – sieht harmlos, ist aber giftig. (© F. Wende)
Zwischendurch rieben sich die vier an der rechts steil aufragenden Böschung. Jens klärte uns auf, dies sei das alpakaübliche „Fellpeeling“. Gleichzeitig bat er uns darauf zu achten, dass die Tiere nicht am für sie nicht so gut verträglichen Waldfarn knabbern würden. Schließlich bogen wir links ab und folgten nun einem Seitenweg, der sich in einer langgezogenen Linkskurve aufwärts wandte. Der Boden war aufgeweicht bis matschig, die Luft feucht und es roch nach modrigem Wald. Ich mag diese Stimmung. Denn sie lässt einem die Natur mit jedem Atemzug intensiv spüren.
Mit zunehmender Höhe lichteten sich die Bäume und wir erreichten schließlich auf dem Scheitel einen Teerweg, dem wir durch üppige Weiden folgten. Die Alpakas zog es mit Macht zu den dort vorzufindenden Leckerbissen, und so ließen wir sie ebenso genussvoll wie ausgiebig grasen. Manchmal aßen sie von uns zuvor ausgerupfte Klee- und Grasbüschel sogar aus der Hand – laut Jens ein Beweis, dass die anfängliche Scheu geschwunden sei. Dennoch lassen sich Alpakas nicht gerne anfassen. Sanftes Auf- und Ab-Streicheln am Hals wurde zwar toleriert. Aber ich hatte das Gefühl, dass zumindest mein Weggefährte, Skeptiker Lui, immer erleichtert war, wenn ich meine „Annäherungsversuche“ wieder einstellte.
Sonne pur, saftige „Delikatessen“ und eine denkwürde Begegnung
Wir genossen derweil den weiten Blick über die mittlerweile sonnenbeschienenen Höhenrücken der Eifel. Und genau jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo wir unseren verfressenen Freunden eine lange Nase zeigen und uns unseres „Fells“ entledigen konnten. Denn es war richtig warm geworden. Doch die schien das in keiner Weise zu interessieren, denn sie waren viel zu sehr mit dem Probieren von Wiesen-Delikatessen beschäftigt. Insofern war es ein Kraftakt, unsere Vierbeiner wieder zurück auf den Weg zu bekommen.
Am Wegesrand Gras satt für die Alpakas. (© F. Wende)
Wir passierten nun eine Pferdekoppel. Es war anrührend zu sehen, wie wenig im Tierreich Herkunft, Rasse und Haut- beziehungsweise Fellfarbe eine Rolle spielen. Denn ohne jegliche Berührungsängste gingen diese Vertreter aus ganz anderen Welten am Zaun aufeinander zu und beschnupperten sich ebenso neugierig wie wohlwollend. „Ach, wäre es doch bei uns Menschen auch so“, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf.
Verwunderter Blick: „Nanu, wer seid ihr denn?“ (© F. Wende)
Alf, der Übermütige, und ewig lockt die „verbotene“ Frucht
Alf wiederum, gab zwischendurch immer wieder Kostproben seines ungestümen Übermuts. Mit an nicht zu überbietender Harmlosigkeit trottete er neben Andreas her. Doch wenn er den Eindruck hatte, sein Leinenführer sei einen kurzen Moment unaufmerksam, führte er einen bocksprungähnlichen Tanz auf. Doch als ehemalige Reitlehrer ließ sich Andreas nicht überrumpeln und behielt die Fäden beziehungsweis in diesem Fall die Leine fest in der Hand. Genauso provozierte Alf immer wieder Herdenboss Joshi. Doch auch der blieb souverän und hatte immer eine passende Gegenreaktion parat, um seinen jungen Rivalen in die Schranken zu verweisen.
Verlockend, aber noch nicht reif genug (© F. Wende)
Rechter Hand erschien nun eine Obstwiese mit prall tragenden Apfelbäumen. Die wie gemalt grünen Früchte übten den unwiderstehlichen Reiz aus, sie zu pflücken. Doch Jens riet davon ab. Er habe zuletzt einen probiert und mit sauer verzogener Miene feststellen müssen, dass sie für den Verzehr noch nicht reif genug seien. Ach, hätte es Jens schon zuzeiten von Adam und Eva gegeben – was wäre uns alles erspart geblieben. Eins der Alpakas ignorierte die Warnung seines „Herden-Papas“ und versuchte es dennoch – ein Zeichen, wie neugierig diese Tiere sind. Allerdings blieb es beim Versuch, denn die Frucht wollte nicht.
Rückkehr nach Auenland
Schließlich tauchten wir erneut in den nun willkommenen Schatten spendenden Wald ein und gelangten wieder auf den Weg zurück, der zum Gehege führte. Unser Alpaka-Quartett spürte dies und beschleunigte in Vorfreude auf das Wiedersehen mit seinen Artgenossen seine Schritte zusehends. Bei aller während der Wanderung dazu gewonnener Zutraulichkeit überwog der Herdentrieb dann doch. Und so sollte es ja auch sein, denn unser Abenteuer näherte sich nach insgesamt rund drei Stunden so langsam seinem Ende.
Jetzt wird’s aber Zeit. (© F. Wende)
Kaum waren Alf, Comet, Joshi und Lui wieder auf heimischem Gelände, stürmten sie gemeinsam zur „Toilette“ und erleichterten sich. Jens verriet uns, dass die Alpakas nur in gewohnter Umgebung ihr Geschäft verrichten würden und von daher sehr lange einhalten könnten. Was für manierliche Tiere. Wenn man in einer Großstadt wie Köln lebt, würde man sich das bei vor allem stark angetrunkenen Partygängern zuweilen auch so wünschen. Wir hingegen griffen zu Wasser und Apfelschorle, die Jens uns anbot, und ließen den Blick dabei noch einmal zum Abschied über das Gelände schweifen. Unser Gastgeber gab dabei zum Besten, dass viele das Terrain mit dem Auenland aus „Herr der Ringe“ verglichen. Einige hätten sogar vorgeschlagen, hier Behausungen wie bei den Hobbits zu errichten.
Muss es immer diesen Hype geben, noch eins draufzusetzen? Leben solche Alpaka-Wanderungen nicht vielmehr von ihrer natürlichen Schlichtheit? Tief gerührt erzählte Jens von einem Erlebnis mit einem autistischen Jungen. Zuhause hätte sich dieser seinen Eltern gegenüber oft schweigsam und sprachlos gezeigt. Doch während der Wanderung mit diesen wundersamen Vertretern aus dem Süden Amerikas habe er fast ununterbrochen „gebrabbelt“. Genau das ist es doch, was eine Begegnung mit diesen Tieren so besonders macht.
Es war eine beglückende Auszeit
Beim Verlassen des Geländes fiel mein Blick auf ein am Eingang angebrachtes Schild, auf dem mit ausgestanzten Buchstaben „Auszeit“ geschrieben stand. Das war die Wanderung in der Tat. Im Bus hatten wir die Gelegenheit, uns wieder an die Realität des Alltags zu gewöhnen. Andreas berichtete von seinem Plan, dem Trubel der Kölner Innenstadt, seinem jetzigen Zuhause, den Rücken zu kehren und ins Außerstädtische zuziehen. Nadia wiederum erzählte von ihrer Weiterbildung im familientherapeutischen Bereich. Ich stellte fest, dass unser gemeinsames Abenteuer mich in eine geradezu beglückte Stimmung versetzt hatte. Meine beiden Mitreisenden stimmten auf meine Frage hin zu, dass sich auch bei ihnen eine wohltuende Wirkung eingestellt habe.
Sagt mehr als tausend Worte. (© F. Wende)
Bei Wiederankunft auf dem Klinikgelände vollzog sich unser Auseinandergehen dann ebenso herzlich wie kurz. Was hätte es auch noch vieler Worte bedurft? Wenn die inneren Sinne berührt sind, tut der Mund gut daran, einfach mal zu schweigen und das Erlebte sacken zu lassen. So ging jeder von uns dreien nach dieser in jeder Hinsicht erfüllenden Alpaka-Wanderung wieder seiner Wege. Ich nutzte die Rückfahrt nach Köln, um mir darüber im Klaren zu werden, was da gerade mit mir passiert war.
Vielleicht ist es der Umstand, dass eine derartige Begegnung mit Natur und Tier tief in uns schlummernde Urbedürfnisse bedient – etwas, was in der Hektik des urbanen Alltags sicher allzu oft sträflich vernachlässigt wird. Und vielleicht spielt diese Vernachlässigung auch bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Suchterkrankung eine Rolle – wer weiß…