Corona ist vorbei! – Wirklich?

Corona ist vorbei! – Wirklich?

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Seit gefühlt mindestens zwei Jahren zierten den Platz, der nur wenige Schritte von meiner Wohnung entfernt ist, zwei portable Kabinen nebst Pavillon als Überdachung für Wartende. Sie beherbergten eins der vielen Corona-Testzentren für Kölner Bürger. Nun wird es demontiert – ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Coronazeit vorbei ist. Wirklich vorbei? Nun, nach wie vor erreichen wohl jeden von uns Nachrichten, dass jemand aus unserem persönlichen Umfeld an Sars Covid 19 erkrankt ist. Auch aus China dringen immer mal wieder Nachrichten zu uns vor, die im Widerspruch zu dem stehen, was uns offizielle Verlautbarungen von dort glauben machen sollen. Demnach ist dieser variantenreiche Virus keinesfalls bereits final besiegt. Das aktuelle Schicksal des schwerst an Corona erkrankten russischen Eiskunststars Roman Kostomarow bestätigt das auf erschütternde Weise.

Immerhin: endlich wieder Normalität

Corona ist also nicht vorbei, aber es schwindet zusehends – zumindest in Deutschland – aus dem öffentlichen Raum und Bewusstsein. Man könnte es auch so ausdrücken: Corona ist schlicht und ergreifend in den Niederungen der Normalität angelangt. Dies zeigt auch das Auslaufen fast aller noch verbliebener Test- und Maskenpflichten zum 1. März 2023. So sind jetzt auch Beschäftigte und Bewohner*innen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen von der Test- und Maskenpflicht befreit. Dies werden wohl vor allem die vielen Schaffenden in solchen Einrichtungen, zu denen auch die private Suchtklinik Lifespring in Bad Münstereifel zählt, mit einem „Endlich!“ quittieren. Endlich wieder ungehindert tief durchatmen können, endlich wieder unbedeckte Gesichter sehen und endlich wieder ungebunden von der lästigen Testerei sein. Man wird als nicht im Gesundheitssektor Arbeitender kaum nachvollziehen können, was dies für diesen Dienst, der ohnehin schon sehr herausfordernd sein kann, an Erleichterung bedeutet.

Ein Blick zurück

Insofern markiert der 1. März nicht nur den meteorologischen Frühlingsanfang, sondern dieses Jahr auch eine Art Zäsur. Das gibt Anlass, zurückzuschauen und diese Zeit mit all ihren Merkwürdigkeiten einmal kurz Revue passieren zu lassen.

Beginn und Lockdown

Es fing an zur Karnevalszeit 2020. In diesem Zusammenhang erlangte eine feucht-fröhliche Festlichkeit im nordrhein-westfälischen Gangelt als eins der ersten „super spreading events“ traurige Berühmtheit. Ich persönlich hatte noch die Möglichkeit, den Kölner Karneval vollkommen unbefangen zu erleben. Das chinesische Wuhan als nach wie vor heiß diskutierter Ursprungsort der globalen Pandemie schien mir zu weit weg, um mich in irgendeiner Form persönlich bedroht zu fühlen. Doch das änderte sich bald und schlagartig: Am Freitag, den 13. März, landete ich mittags auf der spanischen Kanareninsel La Palma. Bereits am nächsten Tag trat der spanische Lockdown mit umfangreichen Einschränkungen in Kraft. Ich durfte lediglich zum Frühstück und Abendessen das Hotelzimmer verlassen. Das war’s für die nächsten zehn Tage. Langweilig wurde es dennoch nicht. Denn es war eine Herausforderung, den Rückflug nach Deutschland zu organisieren.

In Düsseldorf erwartete mich ein gespenstisch leerer Flughafen – ein Vorgeschmack auf das, was im Rahmen des deutschen Lockdowns noch alles auf einen zukommen sollte: Maskenpflicht, das fast Zum-Erliegen-kommen des öffentlichen Lebens, massive Einschränkungen in der Wirtschaft, die hiermit zum Beispiel verbundene Home-Office-Pflicht sowie die Schließung von Geschäften, Lokalen und körpernahen Dienstleistungsbetrieben, nicht zu vergessen auch das umstrittene „Homeschooling“, die ebenso massive Beschränkung sozialer Kontakte bis hin zu kompletten Ausgangssperren, die Erschwernisse im gesamten Gesundheitsbereich, hier zum Beispiel den Besucherverkehr in Pflegeheimen und Krankenhäusern betreffend, sowie letztlich all die hiermit verbundenen Eingriffe in unsere Grundrechte.

Stress-Test und Widerstand

Das war schwere Kost. Doch es wurde noch schlimmer. Denn schon bald entpuppte sich die Corona-Pandemie als wahrer Stresstest für unser Land, der systembedingte Schwachstellen fast schon brutal offenlegte. Beschaffungsprobleme bei Masken und Impfstoffen, die zähflüssige Diskussion zwischen Bund und Ländern beim Beschließen zumindest annähernd einheitlicher Schutzmaßnahmen und Impfpflichten, die oft als zu zögerlich empfundene Umsetzung dieser Maßnahmen oder die Überforderung von Schulen und vor allem Ämtern durch das Hinterherhinken in Sachen „Digitalisierung“, besonders deutlich bei den Gesundheitsämtern zu sehen, sind nur einige der hier zu nennenden Beispiele.

Kein Wunder, dass sich hieran auch Widerstand entzündete, der unter anderem in der Querdenkerbewegung seinen Widerhall fand. Das muss eine Demokratie ohne Frage aushalten können. Dennoch muteten so manche in diesem Rahmen geäußerten Argumente und Verschwörungstheorien kurios an.

Hamsterkäufe bei Toilettenpapier

Allerdings reihten sich auch einige Konsumentengewohnheiten in dieses Kuriositätenkabinett ein, so zum Beispiel Hamsterkäufe bei so etwas Profanem wie Toilettenpapier. Ich erinnere mich daran, wie eine junge Mutter vom nahgelegenen Supermarkt kommend beschwichtigend auf ihren fast schon verzweifelt weinenden kleinen Sohn einredete. Ich war gerade dabei, die Haustür aufzuschließen, sah die beiden und fragte, was denn der Grund für den Kummer sei. Da antwortete der Kleine: „Wir haben kein Klopapier mehr bekommen.“ Ich bot umgehend an, ein paar Rollen aus meinem Bestand zur Verfügung zu stellen. Der Mutter war das sichtlich peinlich und sie lehnte dankend ab. Ein Himmelreich für ein paar Rollen Klopapier, wer hätte das für möglich gehalten?

Auch Alkoholika und Drogen legen zu

Steigende Umsätze hatte aber nicht nur die Toilettenpapier-Branche zu verzeichnen. Auch der Konsum von Alkohol legte im Verlauf der Corona-Krise zu.  Dies bestätigt eine Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Als Folge trug Sars Covid 19 demnach zu einer Zunahme von Alkoholabhängigkeit unter Arbeitnehmern bei. Mit fast 41 Krankheitstagen aufgrund alkohol-bedingter Störungen verzeichnete die KKH vor allem im ersten Coronajahr einen Höchststand.

Ebenso gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich auch andere Rauschmittel, wie Cannabis und Kokain, eines erhöhten Zuspruchs während dieser Zeit erfreuten. So vermeldete der NDR vor knapp einem Jahr, dass allein die im Hamburger Abwasser gemessene Menge an Kokain-Rückständen seit 2020 um 17 Prozent gestiegen sei. Im Onlineportal des Thieme-Verlags finden sich zudem die Ergebnisse einer Kurzbefragung während der Frühphase der Pandemie. Mit zunehmender Dauer der Kontaktbeschränkungen stieg demnach auch der Anteil jener, die angaben, mehr Cannabis zu konsumieren. Suchtspezialisten stützen den hieraus ablesbaren Trend mit der Beobachtung, dass Suchtmittelkonsum in Krisenzeiten der Bewältigung diene und von daher erfahrungsgemäß zunehme.

Wissenschaftlicher Diskurs, Überpräsenz und Sensationslüsternheit in den Medien

Auch die mediale Berichterstattung war in dieser Zeit, wo Orientierung dringend Not tat, keineswegs frei von Tücken. Viel zu häufig kamen vor allem in der Anfangszeit der Pandemie Spezialisten und Virologen mit widerstreitenden Thesen und Einschätzungen zu Wort. Wissenschaftlicher Diskurs wurde so zur öffentlichen Sache. Das schaffte mehr Verunsicherung als Gewissheit. Das tägliche Zahlenranking mit aktuellen Inzidenzen und vor allem corona-bedingten Todesfällen wiederum hatte etwas Sensationslüsternes. Es erinnerte mich an das US-amerikanische Filmdrama „Reporter des Satans“ von Billy Wilder aus dem Jahr 1951. Irgendwann nahm ich das Thema Corona – trotz aller Relevanz und Brisanz – nur noch genervt als überpräsent wahr. In zahlreichen Gesprächen mit Freunden fand ich diese Wahrnehmung bestätigt.

Das Gedenken an die Opfer

Uneingeschränkt beklagenswert sind die im Zuge der Corona-Pandemie verstorbenen Menschen. Jeder von Ihnen hinterlässt ohne Zweifel eine Lücke, die die jeweils Hinterbliebenen schmerzen wird. Dies gilt vor allem für diejenigen, die aufgrund corona-bedingter Besuchs-Beschränkungen nicht persönlich von geliebten Angehörigen Abschied nehmen konnten. Ich kann verstehen, wenn eine solch traumatisierende Erfahrung einen den Rest des Lebens verfolgt. Trotzdem empfand ich die Würdigung von an Corona Verstorbenen unausgewogen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Meldung, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 18. April 2021 der mehr als 60.000 Corona-Opfer gedenken wolle. Just am gleichen Tag wurde bekannt gegeben, dass mehr als 231.000 Menschen im Jahr zuvor einem Krebsleiden erlegen waren. Wenn man wie ich bereits zweimal an Krebs erkrankt ist, fragt man sich: Hätten nicht alle krankheitsbedingt aus dem Leben Gerissenen ein Gedenken verdient gehabt?

Es gab auch Positives

Aber ich will in einem so tragischen Kontext nichts gegeneinander aufrechnen. Und Gott sei Dank gibt es ja auch Positives aus dieser Zeit zu vermelden. So eröffneten Musiker, die wie die ganze Eventbranche mit zu den Hauptleidtragenden der Corona-Beschränkungen zählten, zum Beispiel mit ihren Hinterhofkonzerten ebenso kreative wie sehnlichst vermisste Freiräume. Auch die Klatschaktionen der Bevölkerung als Solidaritätsbekundung fürs Pflegepersonal zähle ich hierzu. Denn auch wenn diese Aktionen zunächst rein symbolhaft blieben, waren sie doch sicher vielerorten ein Ausdruck ehrlich empfundener Dankbarkeit und Wertschätzung.

Alles so wie vorher?

Bleibt am Ende dieses Rückblicks die zu Beginn der Corona-Pandemie häufig aufgeworfene Frage: Ob es wohl jemals wieder so werden wird, wie vor Corona? Diese Frage erscheint aus heutiger Sicht mehr als obsolet. Denn nichts ist beständiger als der Wandel. Das gilt in unserer schnelllebigen und ausgesprochen dynamischen Zeit mehr denn je. Überdies ist, kaum dass die von Corona ausgehende Gefahr eingedämmt werden konnte, zum Beispiel mit dem Ukrainekrieg längst eine neue kollektive Bedrohungen aufgetaucht. Die bestehende Weltordnung ist dadurch unter Druck geraten. Hierzu trägt auch das sich zuspitzende Konfliktpotenzial zwischen China und der westlichen Allianz bei. Hinzu kommen Preissteigerungen und Inflation, die neue Existenzsorgen und Ängste schüren.

Die Unbefangenheit hat Schaden genommen

Insofern muss man feststellen: Auch wenn das öffentliche Leben längst wieder an die Zeit von vor Corona angeknüpft zu haben scheint, ist bei Licht besehen doch vieles anders geworden. Ich will es einmal so ausdrücken: Die Unbefangenheit hat in den drei zurückliegenden Corona-Jahren nicht unerheblich Schaden genommen. Der Blick aufs Weltgeschehen und sicher auch auf Deutschland ist kritischer geworden. Zu Recht, wie ich finde. Inwieweit sich dadurch auch langfristige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung von stofflichen Süchten ergeben, bleibt abzuwarten. Suchtexperten sind sich einig, dass es noch zu früh ist, um hierzu eine endgültige Feststellung zu treffen.

Mein persönliches Fazit: Viele Abschiede, aber trocken geblieben!

Für mich persönlich waren die drei zurückliegenden Jahre in vielfacher Hinsicht eine Zeit der Abschiede: Die Trennung von meiner damaligen Partnerin im Mai 2020, der plötzliche Tod von Dr. Christian Schneider, dem Gründer von Lifespring, im Sommer 2020, das Ableben meiner hochbetagten Eltern in den Jahren 2020 und 2021 sowie das Versterben mehrerer Freunde und Bekannte. Kein einziger dieser Abschiede hatte im Übrigen etwas mit Sars Covid 19 zu tun.

Alles in allem habe ich diese Zeit aber recht unbeschadet überstanden. Und vor allem habe ich dem Alkohol widerstanden, so dass ich nun seit achteinhalb Jahren trocken bin. Das war nicht immer einfach. So erinnere ich mich daran, wie ich 2021 im Kundenauftrag eine umfangreiche Broschüre zum Thema „Depression“ erarbeiten musste. Währenddessen galt in Köln bereits ab 21:00 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre. Aber ich habe es geschafft. Nun geht das Leben mit neuen Herausforderungen weiter. In diesem Sinn wünsche ich allen Lesern und Leserinnen: Bleiben Sie gesund und vor allem – frei von Süchten!

Über den Autor
Autor Frank Frank
Im Sommer 2018 bin ich von Lifespring mit der Redaktion dieses Blogs betraut worden und der Autor dieses Beitrags. Mein Name ist Frank. Seit vielen Jahren arbeite ich als freier Redakteur, Texter und Lektor. Auch ich habe eine „Suchtkarriere“ durchlebt. Bei mir war es der Alkohol. Seit 7 Jahren bin ich abstinent. Ich will hier nicht den häufig bemühten Himmel-Hölle-Vergleich bemühen. Denn beim Durchleiden meiner Sucht war nicht alles Hölle. Und jetzt, im Zustand der „Enthaltsamkeit“, ist nicht nur der Himmel auf Erden. Trotzdem war der Ausstieg aus einem alkoholschwangeren Leben die beste Entscheidung, die ich in jüngerer Zeit getroffen habe. Ich habe meine Freiheit und einen überwiegend klaren Kopf zurückgewonnen – auch wenn das Weltgeschehen mit nüchternem und enteuphorisiertem Blick nicht immer leicht zu ertragen ist. In diesem Blog möchte ich unter anderem über aktuelle Themen aus der Suchtforschung, aus dem Klinikalltag von Lifespring sowie aus den behandelten Suchtindikationen berichten. Ganz besonders möchte ich aber eins: Sie, als Betroffene oder Betroffenen, und Ihre unter Umständen ebenfalls betroffenen Angehörigen, genau da „abholen“, wo Sie der Schuh beziehungsweise die Sucht drückt.
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