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Mai 2025

Heikos Schlag zum „Pedalritter“

Es ist der 18. Mai 2025 und für sonntags recht früh am Morgen. Kalter Fahrtwind streift meine Arme und lässt mich frösteln. Am liebsten würde ich umkehren und mir zu Hause eine wärmere Jacke aus dem Schrank holen. Doch das geht nicht. Ich bin nämlich um 8.45 Uhr mit Heiko verabredet und etwas knapp dran. Also trete ich umso kräftiger in die Pedale, damit mir auch so rasch warm wird. Kaum bin ich auf eine der größeren Tangenten in Richtung Innenstadt eingebogen, treffe ich auf die ersten Rennradfahrer*innen. Die aufgehefteten Rückennummern lassen keinen Zweifel aufkommen, dass wir alle dasselbe Ziel haben: den Rheinauhafen. Denn dort startet die 107. Auflage des Frühjahrsklassikers „Rund um Köln“.

Heikos Vorgeschichte und Challenge

Für Heiko ist es ein großer Tag, auf den er sich lange vorbereitet hat. Denn traditionell wird dieses Radsportevent nicht nur für Profis, sondern auch als Jedermann-Rennen veranstaltet. Während die Profis 181 Kilometer absolvieren, können die Amateure zwischen Distanzen von 30, 60 und 120 Kilometern wählen. Heiko hat sich für die Variante „Velodom 60“ entschieden. Für diejenigen, die mein letzte Woche unter dem Titel „Null ist null“ veröffentlichtes Interview mit ihm nicht gelesen haben, hier eine kurze Rückblende:

Heiko (56) ist ein ehemaliger Patient von LIFESPRING. Sein Problem war der Alkohol. Nach drei erfolglosen Entzugs- und Entgiftungsversuchen in anderen stationären Einrichtungen hat er es bei LIFESPRING schließlich geschafft: Seit mittlerweile sechseinhalb Jahren ist er trocken. Das Radfahren ist für ihn dabei zu einer Art emotionalem Stabilisator beziehungsweise Regulator geworden. Es hat, wenn man so will, genau die Rolle übernommen, die früher der Alkohol in seinem Leben innehatte.  Umso mehr markiert die heutige Challenge für Heiko einen bedeutsamen Meilenstein auf seinem neuen suchtbefreiten Weg.

Die Stimmung vor dem Rennen

Als ich um 8.45 Uhr am vereinbarten Treffpunkt Ubierring Ecke David-Walsh-Park ankomme, erhalte ich von Heiko die Nachricht, dass er sich ein paar Minuten verspäte. Kein Problem, denn so habe ich Gelegenheit, mir das Treiben rundherum erst einmal in Ruhe anzuschauen. Auf dem rechts angrenzenden Agrippinaufer hat sich bereits eine nicht enden wollende Warteschlange an Radfahrer*innen gebildet.

Blogartikel Warteschlange

In Sechser-, Siebener- oder Achterreihen stehen sie geduldig nebeneinander. Als ich tags drauf lese, dass es mit insgesamt 8.000 Teilnehmenden einen neuen Rekord bei „Rund um Köln“ gab, bin ich nicht verwundert.

Ab 9.00 Uhr soll es sukzessive losgehen. Gestartet wird blockweise, was auch den Wartepulk erklärt. Als Heiko um kurz vor 9.00 Uhr noch immer nicht da ist, werde ich langsam nervös. Denn natürlich fiebere ich mit. Doch dann ist es so weit. Winkend radelt er in Begleitung seiner „Mitstreiter“ Thorsten und Alex auf mich zu. Ich bin erleichtert und werde sofort für ein paar letzte vorbereitende Handgriffe eingespannt. Hier gilt es ein Rückenschild anzuheften, dort ein Klebeetikett an der Sattelstütze zu befestigen.

Blogartikel Portrait Rad

Währenddessen wird eine letzte Möglichkeit zum Austreten wahrgenommen. Dennoch bleibt Zeit für ein kurzes Einfangen der Stimmung:

Frank: Heiko, wie geht’s dir heute?

Heiko: Mir geht’s super, hervorragend.

Was machen die Beine?

Heiko: Die Beine sind gut drauf. Ich habe mir gestern eine Thaimassage gegönnt sowie Magnesium und ein Bad genommen.

Und geschlafen hast du auch gut?

Heiko: Ja, klar. Nach dem Baden schlafe ich immer gut.

[Augenzwinkernd] Und mit welchem Podestplatz rechnest du heute?

Heiko: Also ich glaube, in meiner Klasse nehmen rund 3.000 Leute teil. Wenn ich Platz 2.900 erreiche, bin ich zufrieden.

Schnell mache ich noch das obligatorische Foto, dann wünsche ich Heiko und seinen beiden Mitstreitern viel Glück, und schon verliert sich das Trio im Getümmel bunter Trikots und Räder.

Thorsten, Alex und Heiko (v. l. n. r.)
Thorsten, Alex und Heiko (v. l. n. r.)

Intermezzo: Frühstück und Entspannung für mich

Zweieinhalb Stunden sind für die 60 Kilometer veranschlagt. Ich nutze die Zwischenzeit für ein ausgiebiges Frühstück. Und ich gestehe: Heikos Bericht von seiner gestrigen Thaimassage hat mich getriggert. Also google ich anschließend rasch, wo es eine Möglichkeit dazu in der Nähe gibt. Tatsächlich werde ich fündig und habe auch Erfolg: „Wann?“, fragt die Rezeptionistin mit typisch asiatischer Freundlichkeit. Ich antworte etwas schüchtern: „Sofort?“ Kurzer Blick in den Terminkalender und im Einklang mit der einarmig winkenden Goldkatze auf dem Tresen ein bejahendes „Geht!“ „Wie lange?“ „Eine Stunde!“ „Massage mit Aromaöl oder klassisch?“ „Klassisch bitte!“

Wenige Minuten später auf der Liege ertappe ich mich bei dem Gedanken: Wenn jetzt als Nächstes „Schaaf oder extra schaaf?“ kommt, habe ich mich wohl in ein thailändisches Restaurant verirrt. Doch stattdessen ertönt: „Wo haben Beschwerden? Schulter oder Rücken?“ Und: „Wenn weh tut, bitte sagen!“ Ich lasse alles gerne über mich ergehen, auch das „Bitte uhmdrähhen!“ und „Bitte hihnsätzän!“. Und nein, es ist nicht diskriminierend gemeint. Ich finde diese Stereotypen einfach nur zum Schmunzeln. Außerdem werden sich die Thais ebenfalls ihren Teil denken, wenn übergewichtige Bodys auf schmalen Liegen beim Pressieren merkwürdige Geräusche von sich geben. Bei mir reicht schon ein Schluckauf, um meiner Masseurin ein Kichern zu entlocken.

Die Stimmung nach dem Rennen

Wie dem auch sei, wir werden uns in allem einig, sodass ich gegen 11.30 Uhr tiefenentspannt am Rheinauhafen zurück bin. Oder genauer gesagt: in der Kehre der Ausrollzone hinter der Zielankunft auf der Bayenstraße. Es ist noch immer schattig, doch die zahlreichen positiven Eindrücke erwärmen zumindest mein Gemüt. Denn längst trudeln nach und nach die ersten Rennabsolventen ein.

Blogartikel Start

Man sieht durchweg zufriedene Gesichter. Immer wieder wird gegenseitig mit der flachen Hand anerkennend abgeklatscht, während sich der nächste Blick sofort prüfend auf den Fahrradcomputer richtet: „Wie war mein Schnitt?“ – der Klassiker unter Rennradfahrern. Von Heiko indes weit und breit keine Spur. Nach einer Stunde beginne ich, mir etwas Sorgen zu machen. Doch dann kommt die erlösende Nachricht: „Wir haben es geschafft und stehen an der Haupttribüne auf dem Harry-Blum-Platz. Kannst du schnell kommen, wir sind müde, frieren und wollen unter die Dusche.“

Ich verstehe das, denn ich habe früher selbst häufiger an RTF-Veranstaltungen teilgenommen. Insofern lasse ich mich nicht zweimal bitten. Zügig schlängele ich mich durch den eigens separierten Teil des „Fahrerlagers“, vorbei an Verpflegungsständen mit geviertelten Äpfeln, Bananenhälften und geschnittenen Baguettestücken. „Drüsches Brut“, sagt der Kölner. Doch Hauptsache Kohlenhydrate nach den Strapazen von 15-prozentigen Steigungen und Ähnlichem.

Ungeduldig erwarten mich Heiko und Thorsten – wie gesagt, sie drängen nach Hause. Also schnell das Handy gezückt und ein Foto gemacht.

Blogartikel Portrait Radfahrer

Anschließend dann ein kurzes Rennresümee:

Frank: Wie ist es gelaufen, Heiko?

Heiko: Besser als ich gedacht habe. Also die Vorgabe war ja ein Schnitt von mindestens 25 km/h. Erreicht habe ich einen Schnitt von 26,7 km/h. Zum Glück konnte ich mich in einige Windschattenpositionen begeben. So konnte ich meine Energie ein bisschen einteilen. Von daher bin ich sehr zufrieden.

Und wie war es an den Steigungen? Du sprachst ja bei unserem Interview am 8. Mai mit viel Respekt darüber.

Heiko: Die Steigung habe ich ganz gut überstanden. Ich war ja vorbereitet und bin die Strecke mehrfach abgefahren. Dennoch ging es heute ein bisschen schwerer als bei den Trainingstouren.

Warum?

Heiko: Nun, ich glaube, ich habe vergangene Woche zu viel trainiert. Aber: Ich hab‘s gepackt, das ist entscheidend.

So ist es. Das ist wohl wahr. Und jetzt geht’s unter die Dusche?

Heiko: Genau.

Alles klar, danke dir.

Heiko sieht mitgenommen aus. Deshalb lasse ich ihn schnell von dannen ziehen und trete ebenfalls per Rad den Heimweg an.

Eindrücke auf dem Rückweg

Dieses Mal fahre ich nicht entlang der Kölner Ringe, sondern nehme eine Abkürzung durch die Altstadt. Auf der Rückseite des Traditionsbrauhauses Früh kommt mir eine Gruppe Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters entgegen. Laut poltern ihre Trolleys über das Kopfsteinpflaster, während sie mich aus verquollenen Augen missmutig anblicken. Wie gut ich diese Mimik kenne – verkatert nach durchzechter Nacht. Sicher, die Kölner Altstadtgastronomie lebt von dieser Art „Sauftourismus“. Doch bei mir weckt es unangenehme Erinnerungen. Wie wohltuend hoben sich davon die klaren und ungleich präsenteren Gesichtszüge ab, in die ich bis eben beim Renngeschehen von „Rund um Köln“ geblickt hatte. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Im Übrigen war ich ja früher nicht anders. Insofern erhebe ich mich heute nicht über solche Eindrücke. Das wäre arrogant. Im Gegenteil, ich bin demütig und dankbar, dass ich das hinter mir lassen konnte.

Nachlese und Ausblick

Später meldet sich Heiko nochmal bei mir (als ich seine Anrufe nicht annehme, schreibt er mir die folgende SMS):

„Hallo Frank, ich danke dir für alles. Hoffe, du bist nicht sauer, weil ich Stress machte! Bin sehr kaputt und müde und es war mir kalt. Gruß Heiko.“

Ich antworte darauf: „Alles gut, Heiko. Ich bin nicht sauer. Ich bin nach Hause und habe ein Nickerchen gehalten. Melde mich morgen bei dir. Ich hoffe, du fühlst dich gut. Hast doch allen Grund, stolz auf dich zu sein.“

Darauf Heiko: „Herzlichen Dank ☺ Frank, das finde ich sehr nett von Dir!“

 

Meine Anerkennung für Heikos Leistung ist mehr als Nettigkeit. Dass er Anstrengung erkennen lässt, zeigt doch nur, was er geleistet hat und dass das Ganze kein Spaziergang war. Kurzer Nachtrag von mir dazu: In der offiziellen Ergebnisliste von „Rund um Köln“ belegt Heiko mit einer Wertungszeit von 2:35:13 Platz 2.642. Seine eigene Prognose (Platz 2.900, siehe oben) hat er also deutlich unterboten.

Mit anderen Worten: Ich finde, Heiko hat heute den Schlag zum Pedalritter erworben! Ich habe vor so etwas großen Respekt. Das gilt umso mehr, wenn man Heikos Vorgeschichte kennt. Nächste Woche folgt dann als dritter Teil der Schlussakkord zu dieser ermutigenden Story. Denn Heiko hat noch ein paar Tipps auf Lager. Er weiß, wovon er spricht, das merkt man schnell. In diesem Sinn: „Seid gespannt, liebe Leser*innen!“

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