2020 02 13 Blog Header Karneval Alkohol
Februar 2020

Nüchternheit und Fröhlichkeit im Karneval – geht das?

Nur noch wenige Tage, dann fegt nicht nur „Sabine“, sondern mit der Eröffnung des Straßenkarnevals auch die stürmische Fröhlichkeit der Jecken durch Köln. Winterdepression ade. Und nochmal so richtig Gas geben vor der Fastenzeit. Ich kenne viele in meinem Umfeld, die von Aschermittwoch bis Ostern ihrer Leber eine Regenerationsphase gönnen und auf Alkohol verzichten. Doch für einen trockenen Alkoholiker wie mich stellt sich schon in der heißen Phase des Fasteleers (Kölsch für „Fastnacht“) die Frage: Geht es auch ohne?

Ständig unter Rechtfertigungsdruck

In der Tat steht diese Herausforderung in keiner anderen Jahreszeit so zugespitzt im Raum, wie in der sogenannten fünften Jahreszeit. Immer wieder muss ich es erleben, wie ich bei jeder Runde unter einen regelrechten Rechtfertigungsdruck gerate, wenn ich ein Wasser bestelle. Sofort heißt es dann: Wasser? Hä? Bist Du krank? Wohl gemerkt, nicht von meinen Freunden, die wissen Bescheid. Aber eben von allen anderen.

Ich frage mich mittlerweile ernsthaft: Was läuft in unserer Gesellschaft falsch, wenn der Wassertrinker sich ständig rechtfertigen muss, während der Biertrinker sich „unbehelligt“ die Kante geben kann? Dieses Ungleichgewicht spiegelt sich bereits in der Preisgestaltung der Getränke wider. Oder kann mir jemand ein Lokal nennen, wo Wasser, immerhin ein Grundnahrungsmittel, weniger kostet als Bier? Wobei ich zugeben muss, dass zumindest in Köln die Frage, was von beiden das wirkliche Grundnahrungsmittel darstellt, höchst umstritten ist.

Ja, es geht auch ohne!

Ihr seht schon, ich nehme es mit Humor, auch wenn mich das ewige Rechtfertigen müssen zunehmend nervt. Dabei nährt sich mein Frust keineswegs aus dem Umstand, dass andere Alkohol trinken. Ich finde, das muss jeder für sich entscheiden und selbst wissen. Das gilt für Bier – aber eben auch für Wasser. Insofern betrübt mich eher der Mangel an Toleranz gegenüber Menschen, die nüchtern bleiben können oder – wie in meinem Fall – müssen. Wobei mein „müssen“ ja durchaus selbst gewählt und freiwillig geschieht. Privatsache eben. Ich habe mich nun mal dazu entschieden, meinem „Craving“ (Suchtdruck) die Stirn zu bieten. Und dennoch dabei Fröhlichkeit zu verbreiten.

Das dies durchaus geht und mit meiner Person keineswegs ein Einzelfall ist, zeigen zum Beispiel die vielen Künstler und Darbietenden auf den Karnevalsbühnen der Domstadt. An erster Stelle sind hier die Tanzgruppen zu nennen. Wurf- und Hebefiguren unter Alkoholeinfluss? Vollkommen undenkbar! Oder ein Henning Krautmacher von den Höhnern, der sein „Da sin mer dabei“ lallt? Ebenfalls eine absurde Vorstellung.

Als ausgesprochen ermutigend empfand ich es in diesem Zusammenhang, als ich zuletzt im EXPRESS einen Artikel über Christian Krath las. Er ist der diesjährige „Oberjeck“, der Prinz im Kölner Dreigestirn. Und er trinkt keinen Tropfen Alkohol. Schon immer. Einfach so. Tja, das gibt es eben auch. Von daher ist es ein leider immer noch verbreitetes Vorurteil, wenn man den Kölner Karneval nur aufs Saufen bzw. den Konsum von sehr viel Alkohol reduziert. Das wird ihm nicht gerecht und verkennt den Facettenreichtum dieser Art von Brauchtumspflege.

Berührende Momente – auch ohne saufen!

Auch hierzu ein Beispiel aus meinem eigenen Erleben: Zuletzt hatte mein Karnevalsverein, die Nippeser Bürgerwehr von 1903 e. V., einen Auftritt im CBT-Wohnhaus An St. Georg, einem Alten- und Pflegeheim der Caritas mitten im Severinsviertel, einem Kölner Stadtviertel. Meine Aufgabe war es, die Rolle unseres Maskottchens zu übernehmen und ins „Appelsinchen“-Kostüm zu schlüpfen. Kaum hatte ich den durch unser Corps restlos überfüllten Saal betreten, drückte mir auch schon eine der Betreuerinnen die Hand eines sehr alten und gebrechlichen Bewohners in die meinige. Ich erinnere mich noch, dass die Züge dieses Mannes wie zu einer Maske erstarrt waren und trotz aller Bemühungen meiner Kameraden auf der Bühne teilnahmslos wirkten.

Zunächst wurde ich das Gefühl nicht los, dass er unser „Händchen halten“ mit einem gewissen Widerwillen quittierte. Doch dann spielte unser Musikcorps ein Potpourri altbekannter Karnevalslieder. Und plötzlich packte dieser alte Mann so fest zu, dass ich dachte, er wolle meine Hand nie mehr loslassen und schunkelte mit uns allen beherzt mit. Genau das macht für mich den eigentlichen Kern des rheinischen Fasteleers aus: den Funken der Fröhlichkeit und Lebensfreude genau dort zu entfachen, wo er erloschen ist – aus welchen Gründen auch immer.

Zeichen setzen

Solch berührende Augenblicke bedeuten mir mittlerweile viel mehr als früher eine durchzechte Nacht. Natürlich kann eine durchzechte Nacht auch schön sein. Aber die hier geschilderte Episode bedeutet mir deshalb viel mehr, weil sie tiefer zu Herzen geht und vor allem länger nachwirkt. Und für so etwas habe ich heute, im Zustand fortgesetzter Nüchternheit, einfach einen geschärfteren Sinn als damals, wo ich oft vom Alkohol benebelt war. Das empfinde ich nach fast fünfeinhalb Jahren Trockensein noch immer als großen Gewinn.

Insofern möchte ich mit meinem heutigen Beitrag ein Zeichen setzen: Ein Zeichen für mehr Toleranz gegenüber Menschen, die auch während der Karnevalszeit auf Alkohol verzichten. Ein Zeichen für mehr Nachdenklichkeit über die oft unreflektierte Selbstverständlichkeit, mit der Alkohol in viel zu großen Mengen konsumiert wird. Und ein Zeichen dafür, dass Nüchternheit und Lebensfreude auch im Karneval keine Feinde sind. Wie sagt mein Freund Udo immer so schön: „Komm, loß mer uns verdrare!“ Und dann bestellt er für die anderen ein Bier und für mich ein Wasser. In diesem Sinn „Prost!“ und „Alaaf!“

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