
Kokain – ein aktueller Lagebericht
Ein kürzlicher Ermittlungserfolg wie „Schmuggel von 73 Tonnen Kokain aufgeflogen“ erregt ohne Frage Aufsehen. Doch von solchen Schlaglichtern einmal abgesehen, erfährt man über die führende illegale Stimulanz in Deutschland wenig. Zugegeben, ihre Verbreitung hält sich bei uns in Grenzen. Doch ist die Tendenz seit zehn Jahren steigend. Das ist besorgniserregend. Denn Suchtpotenzial und Gesundheitslast von Kokainmissbrauch werden sträflich unterschätzt. Es ist also höchste Zeit, über Kokain einen aktuellen Lagebericht zu geben.
Die Informationsbeschaffung ist mühsam.
„Schmuggel von 73 Tonnen Kokain aufgeflogen“ – mit dieser Schlagzeile erregte vor Kurzem der SWR Aufmerksamkeit. Vorausgegangen war eine konzertierte Aktion der Polizei in Ecuador und Spanien, an der auch das LKA Baden-Württemberg sowie die Zollfahndung Stuttgart beteiligt waren.
Diese Art der Berichterstattung ist ganz typisch, wenn es um das Thema Kokain geht. Zwar mischt sich hierunter bisweilen die Kokainbeichte eines Promis. So berichteten jüngst die Neue Osnabrücker Zeitung und der Berliner Tagesspiegel über den „Kokainfall“ des Osnabrücker Bundestagsabgeordneten Manuel Gava. Ebenso finden sich hin und wieder mediale Verlautbarungen über die besorgniserregende Crackwelle in deutschen Großstädten. Immerhin war dies Ende letzten Jahres etwa dem ZDF, der Deutschen Welle und der Welt eine Nachricht wert. Doch hiervon einmal abgesehen erfordert es schon einige Mühe, um mehr über die Droge Kokain zu erfahren. Das musste auch ich im Rahmen meiner Recherchen zu diesem Blogbeitrag erleben.
Das Phänomen ist vielschichtig und komplex.
Sicher, das Phänomen Kokain ist vielschichtig und komplex. Und ohne Frage hat das meiste hiervon einen eher mäßigen Sensations- und Unterhaltungswert. Da verkauft sich der eingangs erwähnte Schlag gegen die Drogenmafia aus journalistischer Sicht ohne Frage besser. Doch so spektakulär diese Erfolge auch sein mögen, an den Ursachen des Kokainproblems ändern sie nichts.
Hierzu zählen zum Beispiel die maroden staatlichen Strukturen der südamerikanischen Herkunftsländer, die von Korruption und Drogenkartellen unterwandert sind. Hinzu kommen Lebensverhältnisse, die dort in weiten Teilen von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt sind. Sie sind der ideale Nährboden für das Gedeihen eines Anbau- und Handelsgutes, welches mit überragenden Gewinnspannen lockt. Nicht umsonst führt das Magazin „WirtschaftsWoche“ in einem aktuellen Ranking der zehn teuersten Substanzen der Welt Kokain auf Platz 9. Danach kostet ein Gramm reines Kokain bis zu 480 Euro. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Bild-Zeitung den Wert der oben genannten Kokainmenge mit 5,5 Milliarden Euro angibt.
Konsumentennachfrage und Daten zur Verbreitung
Doch machen wir uns nichts vor. Der Hauptmotor, der die leidige Erfolgsgeschichte von Kokain vorantreibt, ist und bleibt die hohe Nachfrage der Konsumenten in den USA und Europa. Hieran ändern auch die bisherigen ordnungsbehördlichen Eindämmungsversuche nichts. Allerdings fällt es schwer, dies mit entsprechenden Zahlen zu belegen. Aufgrund der aktuell zur Verfügung stehenden Daten zur Verbreitung von Kokain in Deutschland drängt sich diese Einschätzung nämlich nicht zwingend auf. Jedoch gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei Kokain um eine illegale Droge handelt. Offizielle Umsatz- und Verkaufsangaben gibt es folglich nicht. Insofern ist es durchaus herausfordernd, die Konsumentennachfrage hier exakt abzubilden.
Grundlage der diesbezüglichen Datenerfassung ist seit 1980 der Epidemiological Survey of Substance Abuse, kurz ESA. Dazu wird eine Stichprobe der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren zum Konsum psychoaktiver Substanzen befragt. Seit 1997 erfolgt dies regelmäßig im Drei-Jahres-Rhythmus. Anschließend werden die hierbei zutage tretenden Ergebnisse auf die Gesamtwohnbevölkerung hochgerechnet. Die letzte Befragung hat zwar 2024 stattgefunden, befindet sich zurzeit aber noch in der Auswertung. Insofern muss man bis dato auf den Suchtsurvey 2021 zurückgreifen.
Danach konsumierten 1,6 Prozent der Wohnbevölkerung (= 51,14 Millionen) in den letzten 12 Monaten vom Stichtag der Befragung an gerechnet Kokain/Crack. Fachleute bezeichnen dies als 12-Monats-Prävalenz. Hochgerechnet entspricht das etwa 818.000 Personen. Bei gut einem Viertel davon (26,7 Prozent der Konsumierenden) war der Konsum als problematisch einzustufen.
Alkohol, Tabak und Cannabis deutlich vorne
Für sich allein genommen sind das durchaus stattliche Zahlen. Die Menge der Kokain-/Crack-Konsumierenden ist damit höher als die Bevölkerung von Frankfurt am Main, das mit 776.000 Einwohnern immerhin die fünftgrößte Stadt in Deutschland ist. Und die Menge der problematisch Konsumierenden übersteigt die Zahl der deutschlandweiten Herzinfarkte, die der AOK-Gesundheitsatlas für 2022 mit 188.800 Fällen angibt. Insofern wundert es nicht, dass Kokain/Crack die Nummer 1 unter den illegalen Stimulanzien ist.
Zieht man jedoch einen Vergleich zu anderen Drogen, dann scheint Kokain/Crack dennoch von eher untergeordneter Bedeutung zu sein. So ist das aufgrund der Legalisierungsdebatte öffentlich sehr präsente Cannabis mit einer 12-Monats-Prävalenz von 8,8 Prozent (= 4,5 Millionen Konsumenten) in der Tat deutlich gebräuchlicher. Das gilt erst recht für Alkohol und Tabak mit 30-Tages-Prävalenzen von 70,5 Prozent (= 36,1 Millionen Konsumenten) und 28,3 Prozent (= 15,1 Millionen).
Aber: Kokain legt zu
Nun sind Hochrechnungen methodenbedingt nicht frei von Ungenauigkeiten und Verzerrungen. Auch ist bei Konsumentenbefragungen gerade dann, wenn es um illegale Drogen geht, trotz zugesicherter Anonymisierung mit beschönigten Antworten zu rechnen. Insofern muss man bei Kokain und Crack eine Dunkelziffer mit einkalkulieren. Dies traf aber im Jahr 2021 für das damals ebenfalls noch illegale Cannabis auch zu. Außerdem sind die Abstände zwischen Kokain einerseits sowie Cannabis, Alkohol und Tabak andererseits viel zu groß, um dies allein auf methodenbedingte Schwächen zurückführen zu können.
So kommt man nicht umhin festzustellen: Das Drum und Dran bei Kokain mag bisweilen mit einer aufsehenerregenden Attitüde versehen sein. Seine Verbreitung jedoch hält sich zumindest bei uns in Grenzen. „Bis jetzt!“, möchte ich hinzufügen. Zwar dümpelten die 12-Monats-Prävalenzen länger auf niedrigem Level vor sich hin. Doch sind seit 2015 (0,6 Prozent) über 2018 (1,2 Prozent) bis 2021 (1,6 Prozent) regelrechte Sprünge nach oben zu verzeichnen. Es wird mit Spannung zu erwarten sein, ob und wie sich dieser Trend im Suchtsurvey 2024 fortsetzt. Denn genau das ist die Hauptintention des Suchtsurveys: Entwicklungen in die falsche Richtung aufzuzeigen, damit frühzeitig genug gegengesteuert werden kann.
Wie hoch ist das Suchtpotenzial von Kokain?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Warum ist das bei Kokain so wichtig? Nun, die Bedeutsamkeit einer Droge bemisst sich eben nicht nur am Grad ihrer Verbreitung, sondern ganz maßgeblich auch am Ausmaß ihrer Gefährlichkeit. Zwar haben sich in der Wissenschaft und Forschung bisher noch keine unstrittigen Kriterien und Maßstäbe etabliert, an denen man dies zweifelsfrei bemessen könnte. Doch auch hier zeichnen sich durchaus aussagekräftige Tendenzen ab.
Die Anthony-Studie
Bereits 1994 beschäftigte sich eine Studie mit der Häufigkeit von Abhängigkeit unter Nutzern[1]. Dieses Risiko ist sicher die ureigenste Gefahr, die mit dem Konsum von Suchtstoffen verbunden ist. Ausgewertet wurden empirische Daten aus Befragungen in den USA. Tabak führte mit 31,9 Prozent das dortige Ranking an. Es folgte wenig überraschend Heroin mit 23,1 Prozent. Doch bereits an dritter Stelle und noch vor Alkohol (15,4 Prozent) rangierte schon Kokain mit 16,7 Prozent. Währenddessen tauchte Cannabis mit 9,1 Prozent erst an achter Stelle auf.
Die beiden NUTT-Studien
Einen breiteren Bekanntheitsgrad erlangte die Nutt-Studie aus dem Jahr 2007[2]. David Nutt war Vorsitzender des Advisory Council on the Misuse of Drugs (ACMD). Als gesetzliches Expertengremium bestand dessen Aufgabe darin, das britische Innenministerium in Drogenfragen zu beraten. Insofern lag es nahe, dass das Ziel der Studie darin bestand, das Risikopotential von psychoaktiven Substanzen zu erheben und vergleichbar zu machen. Mittels mehrerer Kriterien, wie zum Beispiel Geschwindigkeit und Intensität der Rauschanflutung, körperliche Abhängigkeit und psychische Abhängigkeit, wurden Punktwerte zwischen eins und drei vergeben. Aufgrund dessen ergab sich für Heroin (Punktwert 3) und Kokain (Punktwert 2,39) der höchste Risikoscore. Insgesamt gesehen stießen die Ergebnisse jedoch auf Kritik und lösten rege Diskussionen aus. Besonders erregten sich die Gemüter am Umstand, dass das illegale Cannabis (Punktwert 1,51) und LSD (Punktwert 1,23) im Vergleich zum legalen Tabak (Punktwert 2,21) und Alkohol (1,93) als weniger risikobehaftet eingestuft wurden.
Nutts weitere Arbeit blieb von diesen Kontroversen nicht unberührt. Drei Jahre später präsentierten er und sein Team eine Folgestudie mit einem komplexeren und diversifizierteren Bewertungsverfahren[3]. Neben den ursprünglichen Kriterien wurden nun auch über den Konsumierenden selbst hinausreichende Auswirkungen mit einbezogen. Hierzu zählten etwa Schäden durch Drogenkriminalität sowie drogenbedingte Behandlungskosten oder Arbeitsausfälle. Diese sogenannte Multicriteria decision analysis (MCDA) spiegelte sich auch in einer deutlich erweiterten Punkteskala wider, die nun von null bis 100 reichte.
Wer allerdings darauf spekuliert hatte, dass dies das Verhältnis zwischen legalen und illegalen Suchtstoffen wieder ins angeblich rechte Licht rücken würde, musste enttäuscht werden. Denn jetzt wurde Alkohol (72 Punkte) zum Spitzenreiter in Sachen Schadenspotenzial gekürt. Mit Abstand folgten Heroin (55 Punkte) und Crack (54 Punkte), die das Spitzentrio damit komplettierten. Das Mittelfeld wurde von Methamphetamin (33 Punkte) angeführt, gefolgt von Kokain (27 Punkte) und Tabak (26 Punkte). Das Schlusslicht des Mittelfeldes bildete Cannabis (20 Punkte), das somit erneut mit einer eher mäßigen Gefährlichkeit abschnitt.
Die Grant-Studie
Es sei schließlich noch die im Jahr 2011 veröffentlichte Studie eines internationalen Forscherteams unter der Leitung von Bridget Grant angeführt[4]. Sie widmete sich der Frage: Bei welcher Droge ist die Wahrscheinlichkeit, abhängig zu werden, am größten? Mit Fokus auf Nikotin, Alkohol, Cannabis und Kokain wurden dazu die Daten von über 50.000 Personen aus dem US-amerikanischen Suchtsurvey ausgewertet. Danach entwickelten 68 Prozent nach dem ersten Tabakkonsum eine Nikotinabhängigkeit. Mit großem Abstand folgten fast gleichauf Alkohol (23 Prozent nach dem ersten Drink alkoholabhängig) und Kokain (21 Prozent nach dem ersten Konsum kokainabhängig). Cannabis (9 Prozent nach erstem Kiffen cannabisabhängig) hatte das niedrigste Suchtpotenzial.
Flankierend zu diesen Ergebnissen versuchte das Team von Grant über Interviews weitere Faktoren zu ermitteln, die eine Abhängigkeitsentwicklung wahrscheinlicher machten. Dabei kristallisierten sich besonders psychische Probleme (z. B. Depressionen, Ängste und Persönlichkeitsstörungen) als begünstigend für die Entstehung einer Abhängigkeit heraus. Aber auch Verfügbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz, wie sie für legale Suchtmittel kennzeichnend sind, konnten als wichtige Komponenten im Prozess der Abhängigkeitsentwicklung identifiziert werden.
Zwischenresümee: Gefährlicher als Cannabis – Crack in einer Liga mit Heroin
Betrachtet man nun die hier vorgestellten Ergebnisse in der Zusammenschau, dann zeigt sich trotz aller Unterschiede in der Methodik und Auswahl der Substanzen: Unter den illegalen Drogen nimmt Kokain ohne Frage eine exponierte Stellung ein. Denn sein Schadens- und Suchtpotenzial ist beachtlich und übersteigt das von Cannabis bei weitem. Je nach Darreichungsform (z. B. Crack) spielt es sogar in derselben Liga wie Heroin.
Ich bin daher der Meinung: Auch wenn Kokain in Deutschland deutlich weniger verbreitet ist als Cannabis, sollten aufgrund der steigenden Tendenz dennoch alle Alarmglocken schrillen.
Beispiel einer Selbstzerstörung
Nun sind Zahlen und Statistiken immer recht abstrakt. Um das Gefährdungspotenzial von Kokain noch besser veranschaulichen zu können, braucht es schon ein konkretes Beispiel. In diesem Zusammenhang muss ich sofort an die Doku „Whitney: Can I Be Me“ denken. Sie zeichnet auf erschütternde Weise die Selbstzerstörung Whitney Houstons durch ihre Kokainsucht nach.
Unvergesslich bleibt für mich der dort gezeigte Mitschnitt ihres Auftritts am 11. Februar 2012 im Beverly Hilton Hotel in Los Angeles. Es war der Abend vor ihrem Todestag. Auf einer von ihrem langjährigen Mentor Clive Davis organisierten Pre-Grammy-Party performte sie spontan mit der Sängerin Kelly Price „Jesus Loves Me“. Um es direkt vorwegzunehmen: Es war furchtbar. Houston, die einst mit ihrer Gesangskunst und ihrem Stimmvolumen Millionen auf der Welt in ihren Bann gezogen hatte, klang wie Karaoke. Der traurige Hintergrund: Jahrelanger Kokainkonsum hatte schon länger ihre Stimmbänder angegriffen. Trotz aller Bemühungen, dies mit Hilfe von Experten wieder in den Griff zu bekommen, erreichte sie nie wieder auch nur annähernd ihr ursprüngliches Darbietungsniveau.
Herzensangelegenheit: zur Gesundheitslast von Kokain
Doch die von Kokain ausgehenden gesundheitlichen Gefahren reichen weit über die mögliche Schädigung von Stimmbändern hinaus. So hat zum Beispiel die Deutsche Herzstiftung 2023 einen Artikel zum Thema „Herztod durch Drogen und Medikamente“ veröffentlicht [5] Hierin stellt der renommierte Kardiologe Thomas Meinertz fest:
„Herztodesfälle durch Drogen und missbräuchlich eingenommene Medikamente sind in der heutigen Zeit keine Seltenheit. Das Risiko für den Einzelnen lässt sich nicht voraussagen“ (siehe Seite 69). „Die mit Abstand größte Gefahr geht allerdings von Kokain aus.“ (siehe Seite 63).
Schwere Durchblutungsstörungen des Herzmuskels bis hin zu ausgeprägten Herzinfarkten sind laut Meinertz klassische und vielfach dokumentierte Komplikationen eines Kokainmissbrauchs. In der ersten Stunde nach der Einnahme sei das Risiko für einen Herzinfarkt sogar um das 24-Fache gesteigert! Ursache sei die starke Stimulation des adrenergen Nervensystems. Die Folgen könnten sein: eine Verengung der Blutgefäße, ein vermehrter Sauerstoffverbrauch des Herzens sowie eine Beschleunigung des Herzschlags bis hin zu tachykarden Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern. Eine von Meinertz zitierte spanische Studie kommt daher zu dem Schluss, dass Kokain ein bedeutsamer Risikofaktor für den plötzlichen Herztod sei. Besonders bemerkenswert dabei: Dieses Gefährdungspotenzial entfaltet sich bereits bei geringen Mengen und wird durch Rauchen und Alkohol noch gesteigert.
Gefahren werden unterschätzt.
„Auch gelegentliches „Koksen“, wie der Kokainkonsum verniedlichend genannt wird, kann tödlich verlaufen“, heißt es daher an anderer Stelle in dem Artikel der Herzstiftung. Und erneut findet sich hier die Aussage, dass die Gefährlichkeit dieser Stimulanz das Risikopotenzial von Cannabis deutlich übertrifft. Vor diesem Hintergrund habe ich den Eindruck, dass die schädlichen Nebenwirkungen von Kokain in unserer Gesellschaft stark unterschätzt werden. Kokain ist eine brandgefährliche Droge. In diese Richtung deuten auch die Ergebnisse der weiter oben vorgestellten Studien.
In besonderem Maße gilt das für Crack. Es wird aus Kokain hergestellt und gilt als besonders suchtgefährdend. Denn seine Wirkung setzt schneller ein als bei geschnupftem Kokain, lässt aber auch schneller wieder nach. Dadurch kann ein starker Drang ausgelöst werden, den Konsum zu wiederholen. Fatal ist dabei: Bereits Kokain an sich wirkt nicht nur herzschädigend, sondern auch neurotoxisch. Beim Rauchen von Crack entsteht mit Anhydroecgoninmethylester (AEME) nun aber eine weitere Substanz. Sie verstärkt die neurotoxische Wirkung des Kokains und beschleunigt den Untergang von Nervengewebe (Apoptose).
Eine weitere veritable Gefahr, welche mit dem Konsum von Kokain verbunden ist, besteht in der Verschuldung. Wie dem Jahrbuch Sucht 2024 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zu entnehmen ist (vgl. Seite 83 f.), tappten in diese Falle immerhin gut 30 Prozent der Konsumenten. Dabei reicht das Spektrum der Rubriken von „bis 10.000 Euro“ bis „über 50.000 Euro“. Verwundern tut dies nicht. Denn es wurde bereits weiter oben darauf hingewiesen, dass Kokain zu den Top Ten der weltweit teuersten Substanzen zählt.
Zeichen erkennen und ernst nehmen
Insofern gibt es also eine Vielzahl guter Gründe, die Indizien für eine Zunahme der Kokainverbreitung in Deutschland ernst zu nehmen. Hierzu zählt zum Beispiel auch, dass laut Jahrbuch Sucht 24 die Anzahl der Kokaindelikte erneut angestiegen ist, und zwar um 4,9 Prozent auf insgesamt 23.300 Vergehen (vgl. Seite 136).
Ebenso sind seit dem Jahr 2017 die Sicherstellungsmengen von Kokain in Deutschland signifikant angestiegen (vgl. Seite 139). Der eingangs erwähnte Ermittlungserfolg veranschaulicht das auf eindrucksvolle Weise. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, als es bezeichnende Rückschlüsse auf das Marktangebot von Kokain zulässt. Drücken wir es mal so aus: Die zunehmenden und zum Teil exorbitant hohen Sicherstellungsmengen sprechen nicht gerade für eine Mangelsituation bei Kokain, sondern ganz im Gegenteil eher für eine geradezu komfortable Verfügbarkeit.
Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang noch einmal an die weiter oben vorgestellte Studie von Grant (2011). Hier wurde Verfügbarkeit als wichtige Komponente im Prozess der Abhängigkeitsentwicklung herausgestellt. Von daher sind die Ermittlungsbemühungen der Zoll-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden notwendig. Denn sie sind ein essentielles Mittel, um die Verfügbarkeit von Kokain zumindest in Grenzen zu halten.
Null Akzeptanz für Koks!
Im unmittelbaren Kontext mit „Verfügbarkeit“ wird bei Grant als weiteres wesentliches Glied in der Kette der Abhängigkeitsentwicklung „gesellschaftliche Akzeptanz“ genannt. Genau dies ist der Hauptansatzpunkt für meinen vorliegenden Blogbeitrag. Denn in gewissen durchaus gutbürgerlichen Kreisen gilt Kokain als Partydroge, die ausgesprochen en vogue ist. Ich unterstelle mal, dass es sich bei diesen Kreisen nicht gerade um die Dümmsten und Ungebildetsten in unserer Gesellschaft handelt. Insofern erhoffe ich mir, dass das hier dargestellte Risikopotenzial von Kokain so manchen zum Nachdenken bringt.
Mein Fazit ist: Kokain verdient keine gesellschaftliche Akzeptanz. Es ist eine tickende Zeitbombe. Und man sollte den hiermit verbundenen Gefahren in der medialen Welt und Öffentlichkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken.
Fußnoten:
[1] Anthony, James C. / Warner, Lynn A. / Kessler, Ronald C. (1994): Comparative Epidemiology of Dependence on Tobacco, Alcohol, Controlled Substances, and Inhalants: Basic Findings From the National Comorbidity Survey.
[2] Nutt, David / King, Leslie A. / Saulsbury, William / Blakemore, Colin (2007): Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse.
[3] Nutt, D. / King, L. / Phillips, L. (2010): Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis.
[4] Lopez-Quintero, C. / de los Cobos, J. P. / Hasin, D. / Okuda, M. / Wang, S. / Grant, B. / Blanco, C. (2011): Probability and predictors of transition from first use to dependence on nicotine, alcohol, cannabis, and cocaine: Results of the National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions (NESARC). Drug and Alcohol Dependence.
[5] Meinertz, Thomas: Herztod durch Drogen und Medikamente, in: Herzkrank? Schütze Dich vor dem Herzstillstand! (2023), S. 62–69, Deutsche Herzstiftung (Hrsg.)