Man wird ja wohl noch träumen dürfen

Man wird ja wohl noch träumen dürfen

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Seit Wochen treibt die Menschen in Deutschland die Frage um: Wie können wir in Zeiten von Corona und dadurch bedingten Einschränkungen Weihnachten und den Jahreswechsel begehen? Nun ist es raus: Die Feiertage werden – wie realistischerweise nicht anders zu erwarten – weitgehend in den derzeitigen Lockdown eingebettet bleiben. Von einem unbelasteten Jahresausklang und frei ausgelebter Kontaktpflege im Kreis unserer Lieben wird also keine Rede sein können – zumindest nicht im bisher gewohnten Sinn. Bei all dem gerät eine andere Frage gänzlich aus dem Blickfeld: Wie wird wohl der SARS-CoV-2 Virus Weihnachten verbringen?

Wie wird wohl der SARS-CoV-2 Virus Weihnachten verbringen?

Nun, warum soll sich dieser ungebetene „Gast“ anders verhalten als sein Wirt, der Mensch? Daher stelle ich mir folgendes vor: SARS-CoV-2 wird Pause machen. Weihnachtsferien eben. Er wird nach einem ausgesprochen arbeitsreichen Jahr einfach mal die Seele baumeln lassen, seine aus seiner Sicht weltumspannende Erfolgsgeschichte feiern und den Wirt „Wirt“ sein lassen. Selbstverständlich wird er nach Hause in seine Heimatstadt Wuhan reisen. Dort wird er im Kreise seiner Verwandten und Freunde shoppen, essen, quatschen, lachen, Spielabende veranstalten, vielleicht auch schon mal streiten und es an Silvester so richtig krachen lassen. Nicht umsonst sind die Chinesen schließlich Meister des Feuerwerks.

Wuhan wird also wahrhaft virulente Zeiten erleben, wenn dort die ganze Corona-Familie aufeinandertrifft. Doch „leider“ hat diese parasitäre Sippschaft die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn dieser war zwischenzeitlich nicht untätig und hat in gastfreundlicher Beflissenheit einen neuen Cocktail kreiert: Vakzine! Ich sehe es bereits – dieser „Nektar“ der Kühe (lat. vaccinus „von Kühen stammend“) wird im Rahmen eines silvesterkrachenden Superspreading-Geschehens Corona endgültig den Garaus machen.

Träume können wahr werden!

Bevor ich diese Geschichte nun weiterspinne und Sie sich fragen, welches Kraut ich geraucht habe, kann ich Sie beruhigen: Ich bin clean, nüchtern und habe nichts dergleichen geraucht. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen. Denn Träume sind in dieser Zeit wichtiger denn je. Mit etwas Fantasie lassen sie sich mit all dem ausschmücken, was wir im Moment am Sehnlichsten vermissen: Endlich wieder Umarmungen mit geliebten Menschen, Zusammentreffen mit Verwandten und Freunden aus beliebig vielen Haushalten und ohne schlechtes Gewissen. Endlich wieder Restaurants, Cafés kulturelle Events, Theater und Konzerte besuchen. Endlich wieder ins Fußballstadion und zum Tanzen gehen. Und vor allem endlich wieder ohne Angst und Sorgen verreisen.

Das Schönste an solchen Träumen ist aber: Sie können wahr werden. Die Zeichen hierfür sind ja mittlerweile durchaus ermutigend – auch wenn wir uns noch etwas in Geduld üben müssen. Immerhin hat nun die dritte Pharmafirma einen Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Corona erreicht. Ich bin daher fest davon überzeugt: Er wird kommen, der Impfstoff! Und er wird einen wichtigen Beitrag zur Rückkehr in die Normalität leisten.

Etwas weiteres ist schön am Träumen: Man kann es gemeinsam tun und seine Vorfreude über das Wahrwerden dieser Träume miteinander teilen – zum Beispiel über die modernen Kommunikationskanäle und dazu noch ganz ohne Ansteckungsgefahr. Wenn wir dann noch die kommenden Wochen mit einer Prise Selbstironie und Humor würzen, wird es schon gehen – auch bei suchtgefährdeten Menschen. Denn Träume und Humor – sie sind in Krisenzeiten ebenso bewährte wie wirksame Mittel, um der kollektiven wie auch persönlichen Trübsal Einhalt zu gebieten.

Aus den „Komödien“ unserer Wunschträume ein neues Gewand für die Zukunft nähen

Schon bei Friedrich Nietzsche, diesem eigentlich überwiegend dem Ernst zugetanen Denker des 19. Jahrhunderts, gehören Träume und Humor in gewisser Weise zusammen. So stammt aus seinem Werk „Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile“ aus dem Jahr 1881 der Aphorismus: „Nichts ist mehr euer eigen, als eure Träume! Nichts mehr euer Werk! Stoff, Form, Dauer, Schauspieler, Zuschauer, — in diesen Komödien seid ihr alles ihr selber!“ Und von der zeitgenössischen Malerin, Buchillustratorin, Dozentin, Autorin und Aphoristikerin Ursula Schachschneider stammt der Mut machende Ausspruch: „Hängen all Deine Wunschträume am seidenen Faden, so beginne, ihn auf eine Spule zu wickeln, um Dir daraus ein neues Gewand zu nähen.“

Die Gedanken sind frei – doch nur ohne Sucht

Wie wäre es also, wenn wir die Entschleunigung, zu denen uns der momentane Lockdown zwingt, dazu verwenden, um uns aus den „Komödien“ unserer Wunschträume ein neues Gewand für die Zukunft zu nähen? Was ich damit ausdrücken will, ist: Unsere Gestaltungsspielräume mögen im Moment eingeschränkt sein, doch unsere Gedanken sind und bleiben frei. Frei genug, um Pläne für die Nach-Coronazeit zu schmieden. Dies ist ein hohes, mutmachendes und keineswegs selbstverständliches Gut. Denn es gibt genügend Krisenregionen auf der Welt, wo das nicht so ist. Wo nach dem Ende der jetzigen Misere bereits die nächste wartet.

Voraussetzung für die Freiheit der Gedanken und die damit verbundenen Planspiele für die Zukunft ist allerdings – besonders bei Menschen mit Suchtgefährdung beziehungsweise bereits erlittener Suchterfahrung – die Abstinenz. Denn Sucht und Abhängigkeit legen die Gedanken an die Kette und bewirken genau das Gegenteil von Freiheit. Lohnt es für den Erhalt dieser Freiheit nicht, trotz des ein oder anderen Durchhängers trocken beziehungsweise clean zu bleiben? Die Antwort auf diese Frage muss sich jeder selbst geben – und zwar jeden Tag aufs Neue. Ich träume davon, dass uns dies allen immer wieder gelingt. Übrigens: Heinz Rühmann, der Held aus der Feuerzangenbowle soll einmal gesagt haben: Sorgen ertrinken nicht in Alkohol. Sie können schwimmen.

In diesem Sinn wünsche ich eine trockene, traumreiche und humorvolle Adventszeit –  trotz allem oder gerade deswegen!

Über den Autor
Autor Frank Frank
Im Sommer 2018 bin ich von Lifespring mit der Redaktion dieses Blogs betraut worden und der Autor dieses Beitrags. Mein Name ist Frank. Seit vielen Jahren arbeite ich als freier Redakteur, Texter und Lektor. Auch ich habe eine „Suchtkarriere“ durchlebt. Bei mir war es der Alkohol. Seit 7 Jahren bin ich abstinent. Ich will hier nicht den häufig bemühten Himmel-Hölle-Vergleich bemühen. Denn beim Durchleiden meiner Sucht war nicht alles Hölle. Und jetzt, im Zustand der „Enthaltsamkeit“, ist nicht nur der Himmel auf Erden. Trotzdem war der Ausstieg aus einem alkoholschwangeren Leben die beste Entscheidung, die ich in jüngerer Zeit getroffen habe. Ich habe meine Freiheit und einen überwiegend klaren Kopf zurückgewonnen – auch wenn das Weltgeschehen mit nüchternem und enteuphorisiertem Blick nicht immer leicht zu ertragen ist. In diesem Blog möchte ich unter anderem über aktuelle Themen aus der Suchtforschung, aus dem Klinikalltag von Lifespring sowie aus den behandelten Suchtindikationen berichten. Ganz besonders möchte ich aber eins: Sie, als Betroffene oder Betroffenen, und Ihre unter Umständen ebenfalls betroffenen Angehörigen, genau da „abholen“, wo Sie der Schuh beziehungsweise die Sucht drückt.
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