
„Null ist null!“ – Interview mit Heiko, einem „Ehemaligen“ von LIFESPRING
Heiko (56) ist ein „Ehemaliger“ von LIFESPRING. Vor genau sechseinhalb Jahren hat er dort eine qualifizierte Entzugsbehandlung absolviert. Es war nicht sein erster Anlauf, doch nun hat er es geschafft. Eine Erfolgsstory also, und das ist das Schöne und Ermutigende an meinem heutigen Blogbeitrag. Von LIFESPRING mitgenommen und tief verinnerlicht hat er unter anderem das für suchtkranke Menschen alternativlose Abstinenzmantra „Null ist null!“. Es ist zu seinem neuen Lebensmotto geworden. Und er hat eine neue Leidenschaft entdeckt: das Radfahren. Am kommenden Sonntag, dem 18. Mai, nimmt er an Deutschlands ältestem Tagesradrennen „Rund um Köln“ teil. Dass so etwas mittlerweile möglich ist, macht ihn glücklich und zufrieden. Der Weg dahin war allerdings nicht immer einfach. Doch lest selbst, was Heiko zu erzählen hat. Denn er war bereit, auf meine Fragen auskunftsfreudig Antwort zu geben.

Frank: Lieber Heiko, du bist ein sogenannter „Ehemaliger“ von LIFESPRING, das heißt, du hast dort einen stationären Entzug absolviert. Was war dein Problem und weshalb hast du dich für die Behandlung in einer Klinik entschieden?
Heiko: Mein Problem war der Alkohol. Ich habe gemerkt, dass ich nach und nach immer mehr getrunken habe. Irgendwann war es so weit, dass ich schon morgens um 7 Uhr den ersten Jacky Cola getrunken habe. Darunter hat auch zunehmend meine Selbstständigkeit gelitten. Ich war dann sechs Wochen in einer bekannten Privatklinik, hatte anschließend aber sehr schnell einen Rückfall. Danach habe ich zwei Entgiftungen im Krankenhaus gemacht – leider auch ohne Erfolg. LIFESPRING war für mich im Prinzip der letzte große Anlauf, den ich gehen wollte, um mir, meiner Familie und meinen Angehörigen zu beweisen: Ich schaffe das!
Du sprachst eben davon, du hättest deine Selbstständigkeit nicht mehr ausüben können. In beruflicher Hinsicht? Oder meintest du deine Alltagsselbstständigkeit?
Heiko: Meine Alltagsselbstständigkeit funktionierte noch. Aber ich hatte ein Unternehmen mit 50 Mitarbeitern und wurde, wie man sich vorstellen kann, täglich gefordert. Dies wuchs mir unter dem täglichen Alkoholeinfluss sukzessive über den Kopf. Und deswegen war es dann sowohl physisch als auch psychisch nicht mehr möglich, dieser Aufgabe nachzugehen.
Wie lange ist der Anlauf bei LIFESPRING jetzt her?
Heiko: Heute sind es genau sechseinhalb Jahre her.
Es ist bezeichnend, dass du das so genau weißt. Ich kann mich bis heute auch noch sehr genau an meinen ersten Abstinenztag erinnern. Das zeigt, wie sehr sich so etwas einprägt. Kommen wir nun zu der Frage, die für suchtkranke Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Hast du dadurch und seitdem zu einem suchtbefreiten Leben gefunden?
Heiko: Hundertprozentig. Ich bin seitdem trocken und habe keinen Alkohol mehr getrunken. Selbst Pralinen, wie MON Cheri, oder alkoholfreies Bier lasse ich weg. Auf diese Weise bin ich mittlerweile absolut zufrieden mit meinem Leben.
Das hört man gern. Du hattest schon angedeutet, dass dein Anlauf bei LIFESPRING nicht der einzige und erste war, um vom Alkohol loszukommen. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Was ist bei LIFESPRING anders gelaufen? Und warum hat es bei den vorausgehenden Malen nicht geklappt?
Heiko: Wie ich schon erwähnt habe, war ich bei meinem ersten Entzug in einer anderen privaten Klinik. Da haben viel zu sehr wirtschaftliche Aspekte unter den Patienten im Vordergrund gestanden. Es ging fast nur darum: Wer fährt das schnellste Auto, wer hat das meiste Geld auf dem Konto? Davon habe ich mich ablenken lassen, sodass ich mich nicht wirklich auf mich selbst und meine Therapie konzentrieren konnte. Danach war ich noch zweimal zu einer Entgiftung im Krankenhaus. Was war nochmal die Frage?
Warum es bei den vorausgehenden Malen nicht geklappt hat und was bei LIFESPRING anders war?
Heiko: Bei LIFESPRING hat auf jeden Fall das, was ich vorher im Internet und in den Bewertungen gelesen hatte, zum größten Teil gepasst. Es ist eine individuelle Betreuung. Der Mensch ist dort Mensch – egal, wo er herkommt und was er im freien Leben macht. Da sind normale Leute als Patienten gewesen. Man wurde wertgeschätzt von den Ärzten, man hatte ein regelmäßiges Einzel- und Gruppensetting. Und ich habe mich in den sieben Wochen, die ich dort gewesen bin, jeden Tag gut betreut gefühlt.
Wer einen stationären Entzug hinter sich gebracht hat, der kennt dieses mulmige Gefühl, wenn man den geschützten Raum der Klinik verlässt und sich fragt: Hält meine Abstinenz auch den kommenden Alltagsbelastungen stand? Daher nun meine Frage an dich: Wie hast du das geschafft und was hat dir dabei geholfen? Oder anders ausgedrückt: Gab es für dich so etwas wie einen Gamechanger? Und wenn ja, welcher war das?
Heiko: Das, was du gerade angesprochen hast, habe auch ich immer wieder zum Thema gemacht: Was ist, wenn ich draußen bin? Wenn ich keine Betreuung mehr habe? Wenn ich nicht jeden Tag diese Einzel- und Gruppengespräche habe? Da wurde mir von den Therapeuten und Ärzten immer wieder gesagt: „Heiko, null ist null!“
Außerdem war für mich ein Schlüsselerlebnis mit einem Mitpatienten sehr hilfreich. Und zwar haben wir kurz vor unserer Entlassung unten im Aufenthaltsraum gesessen und uns gefragt: Sind wir mit unseren Ängsten und Befürchtungen nicht eigentlich Idioten? Wie viele Menschen irgendwo in einer Klinik in Deutschland müssen am nächsten Tag vielleicht eine schwierige Operation erdulden und sind ihrem Schicksal einfach ausgeliefert? Wir hingegen haben unser Schicksal selbst in unseren Händen. Wir haben den Alkohol gewählt, können ihn nun aber genauso gut wieder abwählen. Diese gemeinsame Erkenntnis war für mich ein Riesenschlüsselerlebnis.
Dies alles habe ich mir so stark eingeprägt, dass ich mich bis heute wirklich daran gehalten habe. Auch, weil ich einfach keine Lust mehr habe, wieder in eine andere Klinik zu gehen, um eine Entgiftung zu machen. Ich habe – auf gut Deutsch gesagt – wirklich die Schnauze voll von meiner ganzen Vorgeschichte.
Und was war im Hinblick auf die Zeit danach, also als du die Klinik verlassen hattest? Wie Studienergebnisse immer wieder zeigen, sind gerade die ersten sechs Monate nach einem Entzug die sensibelsten mit der höchsten Rückfallgefahr. Was war in dieser Zeit das, wo du heute sagen kannst: Das hat den Schalter umgelegt, und deshalb habe ich es geschafft?
Heiko: Ich hatte Glück im Unglück. Unglück insofern, als während der Zeit in LIFESPRING ein sehr enges Familienmitglied verstarb. Glück war hingegen, dass ich deshalb über Weihnachten noch in der Klinik bleiben durfte und mich nach meiner Entlassung am 27. Dezember sofort meine Familie super auffing. Dafür bin ich heute sehr dankbar. Denn diese Menschen haben zu mir gestanden und mir die schwierige Zeit mit dem Alkohol, die ja alle mitmachen mussten, verziehen. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben – auch für die sechs Monate, die du gerade angesprochen hast.
Natürlich wurde ich mit Fragen konfrontiert, wie: Na, wie war es denn in der Klinik? Warum warst du so lange da? Was hat es dir gebracht? Und so weiter. Und dann habe ich meinen Angehörigen versprochen: „Ihr könnt sicher sein, dass ich zum letzten Mal in so einer Klinik war und nie mehr in meinem Leben einen Tropfen Alkohol trinke.“ Ich habe praktisch einen verbalen Anker in meiner Familie gesetzt. Auch dies war ein signifikanter Unterschied zu den vorherigen Aufenthalten in der anderen privaten Klinik und den beiden Krankenhäusern.
Das mit dem Anker, war das ein Tipp, den du von LIFESPRING mitgenommen hattest, oder eine eigene Überlegung?
Heiko: Da wirst du jetzt vielleicht lachen. Aber ich habe in der ersten Klinik eine Person getroffen, die hat sich wirklich einen Anker auf den Oberarm tätowieren lassen. Das kam für mich allerdings nicht in Frage. Jedoch habe ich dann schon überlegt, ob man einen solchen Anker nicht in einer anderen Form setzen könnte. Deswegen habe ich das mit Worten gemacht. Und ich bin dankbar, dass ich meinen Angehörigen das so sagen konnte und dass es funktioniert hat.
Wenn du zurückschaust, was waren für dich die größten Herausforderungen beim Festigen deiner Abstinenz? Gab es in dieser Zeit auch Krisen und Versuchungen? Und wenn ja, wie hast du sie gemeistert?
Heiko: Es gab sehr große Herausforderungen. Die größten Herausforderungen sind natürlich Silvester, Weihnachten und – ich lebe in Köln – der Kölner Karneval. Am Anfang habe ich mich eingeschlossen und bin auf keine Feier gegangen. Silvester habe ich zu Hause alleine verbracht oder mit einem Freund beziehungsweise mit zwei Freunden zusammen gegessen. Karneval habe ich komplett gemieden, bin verreist oder in meine alte Heimat nach Mannheim gefahren. Mittlerweile kann ich damit sehr gut umgehen.
Und ich bin froh, dass ich Freunde in meinem Umfeld habe, die auch keinen Alkohol trinken. Also von daher fällt mir das jetzt nicht so schwer. Aber es war ein langer Weg, dieses Umfeld erstmal neu zu gestalten. Also meine alten Freunde, mit denen ich früher auch Partys gemacht habe, zum FC gegangen bin oder Karneval gefeiert habe, die habe ich zum größten Teil verlassen.
Das ist ein harter Einschnitt. Das habe ich für mich natürlich auch erwogen. Doch dann habe ich mir gesagt: Okay, für mich zählen Charakter und Herz und nicht, ob einer jetzt viel trinkt. Aber das ist ein Anspruch, den ich an mich persönlich stelle. Gleichwohl habe auch ich mittlerweile dem Karneval den Rücken gekehrt. Und ich merke schon, dass das etwas ausmacht, wenn einer eben sehr, sehr viel trinkt. Damit komme ich nicht mehr so gut klar. Eigentlich weniger wegen der Versuchung, sondern weil ich häufig über Alkohol schreibe und daher natürlich weiß, wie schädlich das ist. Und das auszuhalten, wenn man sieht, wie Menschen, die einem nahestehen, die sich, um es auf gut Deutsch zu sagen, dann die Birne vollhauen, das macht was mit einem.
Heiko: Ich möchte dazu noch sagen, dass die erste Zeit schon sehr schwierig für mich war. Aber dann habe ich irgendwann ein Jahr, zwei Jahre hinter mir gehabt. Damit bin ich ein Stück weit auch mathematisch umgegangen und habe mich gefragt: Jetzt hast du es zwei Jahre geschafft, nichts zu trinken. Warum sollst du dann jetzt wieder ein Glas trinken und das Risiko eingehen, einen Rückfall zu kriegen? Das war für mich, je länger ich diese Abstinenz gelebt habe, dann irgendwann kein Thema mehr. Und so sind es nun sechseinhalb Jahre geworden.
Ja, das ist gut, wenn man das sagen kann. Ich selbst hatte, wie ich ja schon mehrfach berichtet habe, ebenfalls ein Alkoholproblem. Jetzt bin ich seit dem 24. Okt. 2014 trocken. Einfach ist mein Leben seitdem nicht gewesen. Nach 27 Jahren Trennung von meiner Frau, wiederholtem Kampf gegen Krebs und seit einigen Jahren eine schwerkranke neue Partnerin an meiner Seite. Anlässe für Rückfälle gab es also genug. Doch dann frage ich mich: Würde es dir mit Alkohol besser gehen? In solchen Momenten denke ich immer an meine schlimmsten Abstürze in jener Zeit, in der ich noch getrunken habe. Und dann wird mir sehr schnell klar: Das will ich nicht mehr! Die Entwürdigung, die Depression, der Kater am Morgen danach sowie den Alltag nicht mehr auf die Reihe kriegen. Mit anderen Worten: Ich weiß genau, dass der Alkohol für mich alles nur schlimmer machen würde.
Du sagtest in unserem Vorgespräch, du wärst ein konsequenter Mensch. Das bin ich auch. Am meisten habe ich Angst, dass ich bei einem Rückfall meine Selbstachtung verlieren würde. Das würde ich mir nicht verzeihen, damit käme ich nicht klar. Ich glaube, das kann einen ganz gut bei der Stange halten und motivieren, abstinent zu bleiben.
Wie blickst du auf die Phase deines von Alkohol bestimmten Lebens zurück? Geht es dir ähnlich wie mir? Und kannst du hieraus Motivation schöpfen, auf der jetzigen Spur zu bleiben?
Heiko: Das berührt mich sehr, was du gerade gesagt hast. Und genau das ist etwas, was mich immer wieder einholt. Es gibt immer wieder Phasen im Leben, in denen es mir schlecht geht, in denen ich früher zur Flasche oder zur Dose gegriffen habe. Das Zurückdenken an solche Situationen ist für mich sehr, sehr schambehaftet. Wo ich z. B. an einen Suizid gedacht habe, wo ich gute Freunde beleidigt habe, wo ich unter Alkohol Auto gefahren bin und kleine Unfälle verursacht habe. Das sind alles Erinnerungen, die ich dann gerne ganz schnell wieder verdränge. Und mir dann ganz schnell auch persönlich die Antwort gebe, dass es absolut ein No-Go für mich ist, um in den Spiegel gucken zu können, dass ich diese Zeit nicht wiederhole. Und dass ich sechseinhalb Jahre nicht aufs Spiel setzen möchte, weil ich heute glücklich und zufrieden abstinent bin.
Das kann ich nur bestätigen. Das ist schon ein anderes Leben, das man führt. Ich habe die ersten Jahre jeden Morgen sehr intensiv dieses Gefühl genossen, mit dem ersten Kaffee in der Hand klar im Kopf zu sein und nicht dieses Gefühl zu haben: Oh Gott, wie überstehst du den Tag? Oder das Zittern, ich hatte Phasen, da musste ich eine Hand festhalten, sonst hätte ich die Buchstaben auf der Tastatur nicht getroffen. Und da wusste ich natürlich genau, was Sache ist.
Dann sind wir für heute im Prinzip schon bei der letzten Frage: Am Sonntag, dem 18. Mai, stellst du dich einer ganz anderen und neuen Challenge. Du nimmst an „Rund um Köln“, Deutschlands ältestem Tagesradrennen, teil. Welche sportlichen Ziele möchtest du dabei erreichen und welchen persönlichen Benefit erhoffst du dir davon?
Heiko: Konkret möchte ich die Antwort ganz banal formulieren: Dabeisein und ankommen ist alles. Ich möchte dieses Rennen überstehen. Zumal es ja in der mittleren Distanz (60 km, Anmerkung Frank) ein paar starke Steigungen von bis zu 15 % gibt, die nicht so ganz einfach sind. Bei meiner Entscheidung zur Teilnahme war mir schnell klar, dass es eine große Herausforderung ist. Aber ich habe mich jetzt gut vorbereitet, regelmäßig trainiert und auch ein bisschen Gewicht reduziert. Denn wenn man den Berg hochfahren muss, merkt man jedes Kilo.
Ich bin stolz darauf, dass ich mir dieses Ziel gesetzt habe. Ich bin sicher, dass ich am Sonntag diese Challenge bestehen werde. Und ich bin superglücklich, dass ich es geschafft habe, aus einem Suchtleben in ein suchtfreies Leben zu gelangen, und zwar verbunden mit der Regulierung meiner Gefühle durch Sport. Dadurch habe ich meine innere Ruhe und Mitte gefunden. Oder mit den Worten ausgedrückt, die ich aus der Dramatherapie bei LIFESPRING mitgenommen habe: Ich stehe nun sicher auf der Bühne des eigenen Lebens und bin Autor, Regisseur und Darsteller. Das gelingt mir mittlerweile ganz gut. Darauf bin ich sehr stolz und genau das ist mein Benefit.
Frank: Das ist ein schönes, starkes Schluss-Statement. Dann wünsche ich dir für Sonntag, dass du deine gesetzten Ziele zu deiner vollen Zufriedenheit erreichst. Ich werde am Sonntag bei Start und Ziel vor Ort sein und dich befragen, wie du dich fühlst und wie es dir ergangen ist. Darüber und über ein paar weitere Dinge werde ich dann in einer Fortsetzung dieses Blogbeitrags im Laufe der nächsten Woche berichten.