
Seid offen und ehrlich zu Euch selbst! – Tipps zur Suchtbefreiung von einem ehemals Betroffenen
Meine letzten beiden Blogbeiträge haben Episoden einer „Suchtkarriere“ sowie ihrer Beendigung nachgezeichnet. Keine fiktive Geschichte, sondern eine Story von der Bühne des wahren Lebens. In gewisser Weise also eine Art Reality-TV in Schriftform. Der Hauptprotagonist ist Heiko. Er ist ein ehemaliger Patient von LIFESPRING und hat es geschafft, seine Sucht zu zähmen. Oder anders ausgedrückt: diesen „Teufel“ an die Kette zu legen. Denn er ist seit sechseinhalb Jahren trocken.
In einem vor zwei Wochen veröffentlichten Interview gab er Auskunft darüber, was ihn zur Sucht verleitet hat und wie ihm der Absprung gelungen ist. Eine zentrale Rolle beim Absprung spielte und spielt dabei seine neu entdeckte Leidenschaft fürs Radfahren (siehe auch Info „Neu: LIFESPRING – Deine Bewegung“). Ein Highlight in diesem Bereich ist Heikos Teilnahme am Jedermann-Rennen von „Rund um Köln“ am 18. Mai 2025 gewesen. Hierüber habe ich in der vorletzten Woche ausführlich berichtet.
Was nun folgt, ist ursprünglich Bestandteil meines bereits am 8. Mai geführten Gesprächs mit Heiko gewesen. Ich habe es aber bewusst zunächst ausgespart. Denn hierin gibt Heiko Tipps, wie man es ihm gleichtun kann und einen Weg aus der Sucht findet. Diese Tipps basieren auf eigenen Erfahrungen und sind insofern ausgesprochen authentisch und aussagekräftig. Genau deshalb sollen sie den Schlussakkord meiner Trilogie über Heiko bilden.
Frank: Heiko, aus Deiner „Suchtkarriere“, wenn ich das so ausdrücken darf, ist letztlich eine Erfolgsstory geworden. Du hast den Absprung geschafft. Genau das ist der Grund, warum wir dieses Interview führen. Denn wir hoffen, dass andere Betroffene hieraus Ermutigung und auch Anregungen schöpfen. Deshalb möchte ich Dich nun fragen: Gibt es etwas, was Du denen, die ebenfalls von ihrer Sucht loskommen wollen, mit auf den Weg geben möchtest? Vielleicht in Form von drei bis vier persönlichen Tipps.
Heiko: Als Erstes möchte ich wiederholen, was ich schon mehrfach gesagt habe: auf keinen Fall mit Radler, Fassbrause, alkoholfreiem Bier oder Ähnlichem anfangen. Diesen Fehler habe ich nach meinem ersten Klinik-Entzug gemacht. Das sind Trigger. Oder anders ausgedrückt: Es ist der Suchtteufel, der einem in dieser Form so lange auf die Schulter klopft, bis man nachgibt. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht. Und so habe ich es auch immer wieder während meiner Klinikaufenthalte gehört.
Ein zweiter Tipp ist, und hieran führt kein Weg vorbei: „Null ist null. Und dabei bleibt es auch!“ Das sollte man sich selbst ganz klar sagen und dabei am besten in den Spiegel schauen.
Der dritte Ratschlag mag banal und polarisierend klingen: Man hat nicht die Qual, sondern die Wahl, Alkohol zu trinken. Wenn man das einmal erkannt hat, kann man es auch schaffen. Denn dann hat man die Chance, den Alkohol im Leben einfach abzuwählen. Dies vergegenwärtige ich mir immer wieder – gerade auch dann, wenn es mir schlecht geht: „Ich habe die Wahl und nicht die Qual. Und ich werde das Thema Alkohol nicht mehr in meinem Leben zulassen.“ Genau auf diese Weise habe ich es erfolgreich geschafft. Dabei kann ich heute glücklicherweise feststellen, dass ich im Vergleich zu der Zeit, als ich noch Alkohol getrunken habe, deutlich weniger schlechte Perioden durchlebe.
Schließlich möchte ich als viertes das Thema „Anker“ hervorheben. Das habe ich ja ebenfalls schon erwähnt.[1] Der eine macht das mittels Tätowierung, der andere in verbaler Form. Ich empfehle, sich eine wichtige Bezugsperson auszusuchen. Vielleicht ist es der Mann, die Frau, die Mutter, der Vater, der Sohn, die Tochter. Dieser Person sollte man in die Augen schauen, sie vielleicht umarmen oder die Hand geben und versprechen: „Ich trinke nie mehr in meinem Leben einen Tropfen Alkohol!“ So habe ich es auch getan. Bei mir war es eine kleine Gruppe mir nahestehender Menschen. Wenn sich die Gelegenheit bietet, fragen sie schon mal nach: „Na, Heiko, wie sieht es aus, was macht dein Versprechen?“ Und wenn ich dann antworte, dass ich mich nach wie vor an mein damals gegebenes Wort halte, sind sie begeistert. Während ich das jetzt erzähle, habe ich Gänsehaut. Das berührt mich und bestätigt mich auf jeden Fall in der Tatsache, dass ich letztlich alles richtig gemacht habe.
Frank: Wenn man die Abstinenz so lange geschafft hat wie Du, hat man definitiv alles richtig gemacht. Natürlich muss jeder für sich selbst herausfinden, was das Richtige ist. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Aber man kann sich Anregungen und Inspiration holen. Und man kann sich anschauen, wie es andere geschafft haben. Genau deshalb machen wir das hier ja. Denn dann findet man ganz bestimmt auch seinen eigenen Weg. Außerdem glaube ich ebenso wie Du, dass man eine Wahl hat, in jedem Fall.
Du hast jetzt unseren Leserinnen und Lesern vom Blog Tipps gegeben. Vielen Dank dafür. Was mir noch besonders am Herzen liegt, ist die jüngere Zielgruppe. Du hast eben sehr griffig gesagt, null sei null. So hättest Du es in der Klinik gelernt. Wäre das etwas, was Du auch jungen Menschen mit auf den Weg geben würdest? Oder hast Du einen anderen Vorschlag?
Heiko: Diese Frage ist für mich schwierig zu beantworten. Denn ich war ja bereits 49 Jahre alt, als ich aufgehört habe zu trinken. Aber ich erinnere mich an das, was die Fachleute von LIFESPRING uns Patienten im Hinblick auf das sogenannte Suchtgedächtnis eingetrichtert haben. Ich musste lernen, mir einzugestehen, dass ich über ein solches Suchtgedächtnis verfüge. Genau deshalb ist dieses „Null ist null“ für mich alternativlos. Denn nur so kann ich mein Suchtgedächtnis ausschalten.
Jungen Leuten würde ich empfehlen zu akzeptieren, dass es so etwas wie ein Suchtgedächtnis gibt. Genau deshalb ist es wichtig, so frühzeitig wie möglich zu erkennen, wenn der Suchtteufel auf die Schulter klopft. Versucht, diesen Teufel zum Beispiel mit Hobbys wie Sport sukzessive auszuschalten, bevor er – wie bei mir – zur Routine wird. Das ist mein Tipp an junge Leute.
Frank: Vielleicht ist es im Hinblick auf die Zielgruppe der jungen Menschen gar nicht so entscheidend, wann man aufgehört, sondern wann man angefangen hat. Ich kann mich eigentlich noch ganz gut daran erinnern. Ich hatte mit 17 meinen ersten massiven Kater. Sicher gab es auch Lebensphasen, in denen ich etwas weniger getrunken habe. Aber unterm Strich habe ich doch immer sehr, sehr regelmäßig und tendenziell auch immer zu viel getrunken. Kannst Du Dich auch noch an Deinen Einstieg in das regelmäßige Trinken sowie das unmerkliche Steigern der Konsummengen und all diese Prozesse erinnern? Kannst Du das an irgendeinem Alter oder einer Lebensphase festmachen?
Heiko: Nach der Klinikzeit habe ich natürlich darüber reflektiert und auch meine Freunde gefragt, wie ich früher war. Habe ich früher viel getrunken? Habe ich auffällig getrunken? Und da wurde mir immer wieder bestätigt, dass ich ganz normal getrunken habe, eben genauso, wie meine Freunde auch. Zu hören, dass ich in meinem Freundeskreis jetzt nicht als Obertrinker galt, hat mir natürlich zunächst gutgetan. Doch dann habe ich mich hingesetzt und gefragt, ab wann es mehr wurde. Mehr wurde es, als ein mir besonders nahestehendes Familienmitglied krank wurde. Und es wurde mehr, als ich immer mehr Aufgaben in meiner eigenen Firma übernahm. Ich bekam immer weniger koordiniert und war gestresst, sowohl von privaten als auch von beruflichen Problemen. Dabei habe ich es nicht geschafft, diesen Stress mit Sport oder anderen Dingen zu kompensieren.
Frank: Und welche Botschaft könnte man daraus für junge Menschen ableiten? Junge Menschen stehen ja nicht nur im Hinblick auf eine mögliche Suchtkarriere, sondern auch auf der beruflichen Erfolgsleiter noch ganz am Anfang. Ich könnte mir vorstellen, dass man ihnen rät: Seid achtsam und passt auf, wenn Stressfaktoren zunehmen. Denn die unmerkliche Zunahme von Stress geht ja oft Hand in Hand mit der ebenso unmerklichen Zunahme des Trinkens. Das Verhängnis ist eben: Eine Flasche Bier, ein Glas Wein, ein Cocktail oder irgendetwas mit einem Shot bringt dich abends schnell runter. Sollte man vor diesem Hintergrund direkt zu „null ist null“ raten? Oder eher zu einer maßvollen Begrenzung? Denn es haben ja nicht alle automatisch Suchtprobleme.
Heiko: Also ich würde vorschlagen: Wenn man merkt, dass man über das übliche Maß hinaus trinkt, also zum Beispiel täglich, sollte man sich nahestehenden Menschen anvertrauen. Damit meine ich die Eltern oder den besten Freund beziehungsweise die beste Freundin. Und wenn das nicht möglich ist, sollte man sich fachliche Hilfe holen. Das kann eine Therapeutin beziehungsweise ein Therapeut sein. Oder man sucht im Internet nach Anlaufstellen in Wohnortnähe, wo man mit in Suchtfragen versierten Menschen sprechen kann. Es können nur Kleinigkeiten sein, aber auch größere Belastungen wie Liebeskummer, Stress im Beruf oder Schicksalsschläge, die dazu führen, dass man im Alkohol unbewusst eine Kompensation sucht. Von daher kann ich nur jedem raten: „Seid offen und ehrlich zu euch selbst und unbedingt auch zu eurem Umfeld.“
Das ist ein starkes Statement. Ein besseres Schlusswort hätte es nicht geben können.
Heiko: Danke.
Auch ich sage: „Danke!“ Und zwar an Heiko. Denn es erfordert Mut, sich mit seiner eigenen Suchtgeschichte so schonungslos zu outen, wie er es getan hat. Noch immer herrscht in unserer Gesellschaft eine Doppelmoral vor. Als Heiko seine Freunde fragt, ob er beim Trinken Auffälligkeiten gezeigt habe, antworten sie: Nein, er habe genauso getrunken wie sie. Wenn das Trinkverhalten aber in eine Sucht entgleitet, wird man schnell stigmatisiert. Dabei ist der Grad zur Sucht oft schmaler, als man denkt. Auch hierfür liefert Heiko ein anschauliches Beispiel: die ernste Erkrankung eines geliebten Menschen, berufliche Überlastung, und schon kommt ein solcher Prozess in Gang. Dies geschieht oft zunächst unmerklich. Und genau deshalb ist Heikos Tipp so wertvoll, ehrlich zu sich selbst zu sein. Wenn man dies mit einer gesunden Portion Achtsamkeit paart, hat man ein gutes Instrumentarium an der Hand, um sich vor einer Suchtentwicklung zu schützen.
[1] Anmerkung Frank: Heiko hatte im ersten Interviewteil von einem Mitpatienten während seines ersten Klinikentzugs erzählt. Dieser hatte sich einen Anker auf den Oberarm tätowieren lassen. Dieser sollte ihn an das Versprechen erinnern, keinen Alkohol mehr zu trinken.
„LIFESPRING – Deine Bewegung“
Neu!
Man stelle sich einen Schnellkochtopf vor. Diesen füllt man bis „max.“ mit Wasser und fixiert den Deckel so, dass kein Dampf entweichen kann. Dann stellt man ihn aufs Kochfeld und wählt die höchste Temperaturstufe. Wer über physikalische Grundkenntnisse verfügt, weiß, was passiert, wenn man diesen Topf unbeaufsichtigt lässt: Er wird früher oder später explodieren.
Genauso verhält es sich im Leben. Jeder Tag füllt den „Topf“ mit neuen Eindrücken, befeuert ihn und erhöht den Druck. Umso wichtiger ist es, Ventile zu finden. Körperliche Bewegung kann ein solches Ventil sein.
Die Story von Heiko ist ein Paradebeispiel. Er hat sich für einen suchtbefreiten Weg entschieden. Und er hat im Rennradfahren einen ungleich besseren Ausgleich gefunden, als es der vermeintliche Kompensator Alkohol ist. Dies ist in der nach einem qualifizierten Entzug so wichtigen Stabilisierungsphase von unschätzbarem Wert.
LIFESPRING unterstützt dies. Denn LIFESPRING steht für Nachhaltigkeit. Deshalb erstreckt sich das Engagement für Suchtbefreiung auch auf ehemalige Patientinnen und Patienten. Und genau deshalb wurde das Programm „LIFESPRING – Deine Bewegung“ ins Leben gerufen.
Heiko ist der erste Teilnehmer. Durch den Mut, seine Story mit anderen zu teilen, schafft er einen echten Mehrwert. Zum einen für sich selbst. Denn er setzt einen zusätzlichen Anker und stärkt seine Motivation. Außerdem gibt er anderen Ehemaligen ein Vorbild.
Geplant ist die Unterstützung sportlicher Aktivitäten bis hin zur Teilnahme an Events, wie etwa dem Radrennen „Rund um Köln“. Dies kann in Form von gesponserten LIFESPRING-Trikots und Blogbeiträgen mit Selfies der Gesponserten geschehen.
Warum gerade Bewegung und Sport? – Nun, die positiven Auswirkungen eines aktiven Lebensstils sind hinlänglich belegt. Zudem stimuliert Sport die Ausschüttung genau der Botenstoffe (z. B. Dopamin, Noradrenalin und Serotonin), die auch psychotrop wirkende Suchtmittel anregen. Dieser Doppel-Effekt prädestiniert Bewegung und Sport daher besonders als Regulativ für suchtbefreite Menschen.
In diesem Sinn: Trau Dich und mach mit!
Deine LIFESPRING-Privatklinik