Das Konzept eines kalten Alkoholentzugs ist zu einer Zeit entstanden, in der man noch davon ausging, dass die einzige Möglichkeit zur Behandlung in einem radikalen Verzicht auf das Suchtmittel besteht. Die Alkoholsucht war zu diesem Zeitpunkt weder als solche anerkannt noch ausreichend erforscht. Sinnvolle alternative Behandlungen und einen angemessenen Umgang mit den begleitenden Symptomen gab es daher nicht. Inzwischen hat sich das geändert: Alkoholabhängigkeit wird mittlerweile offiziell als Krankheit eingestuft, und andere, sanftere Therapieansätze wurden entwickelt. Entstanden ist somit das Gegenteil des kalten Entzugs – der warme. Zwar wird hierbei genauso konsequent auf die Einnahme von Alkohol verzichtet, doch findet mithilfe von Medikamenten, wie zum Beispiel bestimmte Beruhigungsmitteln, die die Entzugserscheinungen lindern oder ausschalten, eine erhebliche Erleichterung statt.
Was versteht man unter einem kalten Alkoholentzug?
Grundsätzlich kann der Entzug eines Suchtmittels nur dann langfristig gelingen, wenn komplett darauf verzichtet wird. Hinzu kommt bei einem kalten Entzug, dass auch keine unterstützenden Medikamente eingenommen werden. Das Absetzen des Alkohols erfolgt also sehr abrupt und ohne eine Linderung der möglichen Nebenwirkungen und Entzugserscheinungen.
Wer sich dennoch dazu entscheidet, einen kalten Entzug durchzuführen, sollte sich vor Augen führen, dass dadurch auf Körper und Psyche eine große Aufgabe zukommt: Hat der Alkohol bis zu diesem Zeitpunkt besonders bei der Stressbewältigung geholfen, bricht diese Säule auf einmal weg. Andere Wege, sich entspannen und mit Problemen oder gewissen Situationen umgehen zu können, müssen gefunden werden. Gleichzeitig erfordert auch der Umgang mit den auftretenden Entzugserscheinungen eine Menge an Kraft und Durchhaltevermögen. Ein kalter Entzug vom Alkohol sollte daher reiflich durchdacht werden.
Ist ein kalter Alkoholentzug zu Hause möglich bzw. sinnvoll?
Wer sich für einen Alkoholentzug entscheidet, verfolgt in der Regel die Absicht, dauerhaft auf eine Einnahme zu verzichten. Häufig sind jedoch bestimmte Reize oder Situationen Auslöser für den Alkoholkonsum, die gerade an die gewohnte Umgebung gebunden sind. Das Risiko, nach einem Entzug wieder rückfällig zu werden, ist daher höher, wenn der Entzug zu Hause durchgeführt wird.
Beachtet werden sollte auch die Tatsache, dass es während des kalten Entzugs jederzeit zu folgenschweren und potentiell lebensgefährlichen Entzugserscheinungen wie Kreislaufproblemen, depressiven Verstimmungen oder gar Krampfanfällen und Halluzinationen kommen kann. Um sie schnellstmöglich behandeln zu können, ist eine qualifizierte ärztliche Hilfe erforderlich. Findet der Entzug stationär und unter Beaufsichtigung eines Arztes statt, ist die Hilfe sofort zur Stelle. Bei einem unbeaufsichtigten kalten Alkoholentzug zu Hause jedoch nicht.
Dauer eines kalten Alkoholentzugs
Die Frage, wie lange ein kalter Alkoholentzug dauert, lässt sich nicht pauschal beantworten. Grund dafür ist, dass zum einen zwischen der psychischen und der körperlichen Abhängigkeit unterschieden werden muss. Während sich der Körper meist innerhalb von ein paar Tagen an den Verzicht auf Alkohol gewöhnt hat, braucht die Psyche weitaus länger. Zum anderen gelingt es nur den Wenigsten, nach dem ersten kalten Entzug auch dauerhaft trocken zu bleiben. Verantwortlich für diese hohe Rückfallquote ist insbesondere die fehlende psychotherapeutische Unterstützung, die für einen erfolgreichen Alkoholentzug sehr wichtig ist. Die Folgen dieses Scheiterns sind Schuldgefühle, die weitere Minderung eines ohnehin meist schon beeinträchtigten Selbstwertgefühls – und am Ende der nächste kalte Entzug. Viele Betroffene entscheiden sich aus diesen Gründen irgendwann doch für einen warmen Entzug mit unterstützenden Maßnahmen wie Medikamenten, einer Psychotherapie und ärztlicher Hilfe. Und erhöhen dadurch die Chance, dem Alkohol auch langfristig zu entsagen.
Risiken, Nebenwirkungen und Folgen eines kalten Entzugs
Welche Entzugserscheinungen bei einem kalten Alkoholentzug letztlich auftreten, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Eventuelle Vorerkrankungen, der gesamte Gesundheitszustand und auch die Schwere der Abhängigkeit spielen dabei wichtige Rollen. Die ersten merklichen Symptome treten bei einem kalten Entzug in der Regel schon nach einigen Stunden bis zu ein oder zwei Tagen auf. Dazu zählen beispielsweise Schwindel und Übelkeit, Zittern, Schweißausbrüche, Angstzustände und innere Unruhe, Blutdruckschwankungen, Herzrhythmusstörungen, Depressionen, Verwirrtheit oder sogar Halluzinationen. Im schlimmsten Fall fällt der Betroffene sogar in das sogenannte Delirium tremens, das ohne eine schnelle ärztliche Behandlung bei bis zu 25% der Betroffenen tödlich endet.
Aufgrund dieser vielfältigen Begleiterscheinungen mit teils erheblichen gesundheitlichen und psychischen Folgen sollte ein Entzug stets unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Hinzu kommt das deutlich höhere Risiko, mangels fehlender begleitender Psychotherapie wieder rückfällig zu werden – und den Entzug damit nicht erfolgreich zu meistern. Wer sich diesen Risiken nicht aussetzen möchte, sollte von einem kalten Alkoholentzug eher Abstand nehmen.
Erfahrungen mit einem kalten Entzug
Viele Betroffene ziehen zunächst einmal einen kalten Entzug in Betracht. Der vermeintliche Vorteil liegt dabei in der Tatsache, dass es keinem offiziellen Outing als Alkoholabhängiger bedarf, wenn man ihn allein und ohne Wissen anderer zu Hause durchführt. Dass es sich dabei aber eher um Wunschvorstellungen als um die Realität handelt und ein kalter Entzug mit nicht zu unterschätzenden Gefahren verbunden ist, sehen viele Betroffene irgendwann selbst ein. Wer sich trotzdem mit dieser Möglichkeit auseinandersetzt, sollte einen Blick in Foren für Sucht- oder Alkoholkranke werfen, die leicht im Internet zu finden sind. Eines von ihnen ist zum Beispiel das Forum „suchtundselbsthilfe.de“. Darin schildern aktuell oder ehemals Betroffene ihre Erfahrungen mit einem kalten Entzug und weisen darauf hin, dass er ohne ärztliche Unterstützung nicht durchgeführt werden sollte:
Uwe53: „Ich selbst habe gefühlte 1.000 kalte Entzüge hinter mir. Gebracht hat es mir über viele Jahre nichts. […] Ich wollte zu den Schlauen gehören, die mit diesem Gift umgehen können.“
Carl: „Grundsätzlich kann ein ‚kalter Entzug‘ tödlich enden. Hört sich übertrieben an, ist aber leider Fakt! Selbst ein ‚freier Montag‘ nach durchzechtem Wochenende ist bei Trinkern ein Risiko. Es besteht die Gefahr eines Schocks, verbunden mit Kontrollverlust und hypersensiblen Reaktionen des Körpers.“
Ähnliche Einträge findet man beispielsweise auch im Forum „mamacommunity.de“:
Shnaddy: „Ein kalter Entzug ist wirklich gefährlich. Das schafft man kaum alleine, schon gar nicht mit Kindern. Mein Vater war Alkoholiker und hat grundsätzlich einen kalten Entzug gemacht, wenn er mal wieder einen Lichtblick hatte. Er lag dann 3 Tage apathisch im Bett mit Schweißausbrüchen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen… Ich kann wirklich nur davon abraten.“
Es kann also äußerst hilfreich sein und eine gute Orientierung für die weitere Vorgehensweise liefern, sich selbstständig nach Erfahrungen anderer Alkoholabhängiger zu erkundigen – und im besten Fall auch daraus zu lernen.