Die gute Nachricht vorweg: Ein erfolgreicher Methadonentzug ist möglich – auch wenn Erfahrungsberichte in einschlägigen Foren (z. B. eve&rave) nicht nur ermutigend sind. Dort wird der Entzug immer wieder als langwierig und schwierig beschrieben. Schilderungen von wiederholt aufgegebenen Anläufen oder dem Flüchten in andere Abhängigkeiten (Suchtverlagerungen) sind keine Seltenheit. Dennoch kann man davon ausgehen: Wer über einen Methadonentzug nachdenkt, weiß in der Regel, warum er das will – allen schlechten Erfahrungen zum Trotz. Denn er verfügt im Normalfall bereits über Erfahrungen mit Drogen und ihrem Entzug, da Methadon häufig als Substitutionsmittel bei Heroinsüchtigen eingesetzt wird. Dieser höhere Reflexionsgrad im Hinblick auf diese spezielle Thematik ist auch gut so. Denn der Einstieg in einen Methadonentzug sollte kein spontaner Entschluss sein. Das kann nur schief gehen. Wenn man aber einige Vorüberlegungen über den richtigen Zeitpunkt und die geeigneten Rahmenbedingungen anstellt, ist ein Gelingen durchaus realistisch.
Methadonentzug: ab wann und wie lange?
Ein Methadonentzug stellt eine besondere Belastung dar. Dies trifft aber letztlich auf jeden Entzug zu. Allerdings ist Methadon – im Rahmen eines kontrollierten Substitutionsprogramms – für viele Heroinabhängige mehr Hilfs- als Suchtmittel. Es leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Heroinsüchtige sich gesundheitlich und sozial stabilisieren sowie den Teufelskreis der Beschaffungsnotwendigkeiten durchbrechen können. Insofern dürfte folgendes im Hinblick auf die Frage: „Ab wann?“ selbsterklärend sein: Wenn man sich von diesem „Hilfsmittel“ verabschieden will, sollte der Prozess der Stabilisierung soweit fortgeschritten sein, dass man für diese neue Entzugsherausforderung auch wirklich gewappnet ist.
Dazu gehört: Die Symptome des Heroinentzugs sollten vollständig abgeklungen und die körperliche Fitness – zumindest weitgehend – wiederhergestellt sein. Eventuell vorliegende Infektionen bzw. Erkrankungen, wie z. B. Hepatitis oder HIV, sollten ebenso unter Kontrolle sein, wie zum Beispiel auch Stimmungsschwankungen aufgrund des Heroinentzugs (z. B. depressive Episoden) oder psychische Eskalationen (z. B. Selbstmordgedanken). Die Wohn- und gegebenenfalls Arbeitssituation sollte geklärt sowie das soziale Umfeld abseits des Drogenmilieus angesiedelt und zur aktiven Unterstützung fähig sein. Außerdem sollte eine suchtmedizinische und am besten auch psychotherapeutische Befürwortung des Methadonausstiegs ebenso vorliegen wie eine entsprechende Betreuung während des Entzugs selbst gewährleistet sein. Und zu guter Letzt sollte man möglichst frei sein vom Beikonsum anderer Suchtmittel. Wenn all dies der Fall ist, steht einem Einstieg in den Methadonentzug nichts mehr im Weg – den Willen und die Motivation des Betroffenen natürlich vorausgesetzt.
Hinsichtlich der Länge eines Methadonentzugs sind die Empfehlungen ziemlich eindeutig: Methadon sollte über einen längeren Zeitraum ausschleichend abgesetzt werden. Dabei gibt es eine bereits länger praktizierte, kurzfristigere Methode, die für die schrittweise Dosisreduktion auf null bis zu sieben Wochen veranschlagt. Eine erst in jüngerer Zeit aufgekommene alternative Strategie empfiehlt eine Entzugsdauer von bis zu einem Jahr. Egal, für welche Variante man sich entscheidet, Geduld und Durchhaltevermögen sind aber letztlich in beiden Fällen von Nöten.
Methadon absetzen: Wie ist der Methadonentzug, und welche Symptome gibt es?
Setzt man Methadon abrupt ab (= kalter Entzug), stellen sich erste Entzugserscheinungen nach ein bis zwei Tagen ein. Die Symptome der rein körperlichen Entgiftung ebben dabei normalerweise nach fünf bis sieben Tagen wieder ab, während das psychisch beziehungsweise gehirn-physiologisch bedingte Abstinenzsyndrom noch Monate anhalten kann. Die insgesamt wahrgenommenen Beschwerden reichen von grippeähnlichen Erscheinungen, wie Muskelschmerzen, laufende Nase, Schwitzen und Gänsehaut über Magen-Darmirritationen, wie Bauchkrämpfe, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, bis hin zu rein psychischen Missbefindlichkeiten, wie Unruhe und Angst. In einschlägigen Foren dominiert aber vor allem eine Klage, nämlich die über massive Schlafprobleme bis hin zur langanhaltenden Schlaflosigkeit. Dies gipfelt in Aussagen, wie: „Das Bett wird zu Deinem größten Feind!“ Daneben werden auch immer wieder Depressionen genannt.
Beim ausschleichenden Methadonentzug werden von den Betroffenen oft zwei Phasen beschrieben: Der erste Abschnitt des Verringerns bis zu einer bestimmten Restdosis wird als vergleichsweise erträglich empfunden, obwohl auch hier bereits mildere Entzugssymptome auftreten können. Die finale Teilstrecke des ausschleichenden Entzugs auf die angestrebte Enddosis Null wird hingegen als unangenehmer wahrgenommen als die erste Phase. Ein zuverlässiger Richtwert für die Grammzahl, bei welcher die Schwelle zum „leidvolleren“ Teil des schrittweisen Entzugs erreicht wird, kann nicht angegeben werden. Denn dafür spielen hier zu viele individuell bedingte – auch psychosoziale – Faktoren mit hinein.
Ein „Symptom“ wurde bisher ausgespart. Es ist besonders herausfordernd und überdauert einen Entzug häufig um Monate, wenn nicht sogar Jahre – und zwar egal, ob er sich schnell oder langsam vollzieht: der sogenannte „Opiathunger“, auch Craving oder Suchtdruck genannt. Methadon selbst bewirkt zwar keinen opiatüblichen Rausch, wie zum Beispiel Heroin (Ausnahme: intravenöse Injektion von Methadon). Wird es aber weggelassen, steigt der Suchtdruck wieder an und führt nicht selten dazu, dass man dem Heroin erneut verfällt oder zu einer anderen Ersatzdroge greift.
Kalter Methadonentzug
Beim kalten Entzug wird das Methadon von jetzt auf gleich und allermeist auch ohne Behandlung der Entzugs- und Abstinenzsymptome abgesetzt. Früher dachte man, dass diese Art der „Selbstkasteiung“ der Königsweg zur Heilung sei. Heute gilt diese Entzugsstrategie allerdings eher als kontraproduktiv. Denn das Risiko für einen Abbruch beziehungsweise Rückfall bis hin zum Wiedereinstieg in den Konsum von Heroin oder dem „Entdecken“ einer neuen Ersatzdroge ist bei dieser Vorgehensweise besonders hoch. Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen ist die Symptomatik beim kalten Entzug besonders stark ausgeprägt und übt von daher einen hohen Leidensdruck auf den Betroffenen aus. Zum anderen entbehrt dieser Ansatz fast immer der Behandlung der eigentlichen Suchtursachen sowie der suchtmedizinischen und psychosozialen Hilfen zur Bewältigung der Abstinenz. Insofern kann von einem kalten Methadonentzug nur abgeraten werden – zumal es hierzu deutlich erfolgversprechendere Alternativen gibt (siehe die beiden anschließenden Abschnitte).
Subutex und andere Hilfen beim Entzug
Subutex ist einer der Handelsnamen, unter dem der Wirkstoff Buprenorphin vertrieben wird. Dieser gehört zu den halbsynthetischen Opioiden und zeichnet sich durch seine stark schmerzstillende Wirkung (20- bis 70fache Potenz des Morphins) aus. Darüber hinaus findet er – wie Methadon selbst – Verwendung im Rahmen der Substitutionsbehandlung von Opioid-Abhängigen. Auch Buprenorphin fehlt die berauschende Wirkkomponente. Dieses Merkmal hat Buprenorphin also mit Methadon gemeinsam. Unter seiner Einnahme kommt es aber auch zu keiner nennenswerten sedierenden Wirkung. Dieses „Wie-in-Watte-gepackt-sein“ ist sonst für Opioide charakteristisch – auch für Methadon. Hierin unterscheidet Buprenorphin sich also vom Methadon. Dadurch rückt das Befinden unter der Einnahme von Buprenorphin noch einmal ein ganzes Stück näher an den angestrebten Normalzustand des Nüchtern-seins heran.
Buprenorphin ist das erste Mittel der Wahl im Rahmen der Substitutionsbehandlung beim Methadonentzug (zumindest in Deutschland; es gibt Länder, wie zum Beispiel die Schweiz, wo das nicht so ist). Wenn mit seiner Hilfe der Methadonentzug gelungen ist, besteht der Vorteil von Buprenorphin darin, dass bei seinem Ausschleichen die Entzugssymptomatik schneller abebbt und auch milder verläuft als beim Methadon.
Alternativ oder ergänzend kommt auch das Sympatholytikum Clonidin zum Einsatz. Wie die übergeordnete Gruppenbezeichnung es bereits vermuten lässt, hemmt dieser Wirkstoff den Sympathikus, genauer gesagt die von ihm freigesetzten Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Deshalb eignet sich Clonidin nicht nur zur Behandlung eines erhöhten Blutdrucks sondern auch eines Entzugssyndroms. Beim Entzug gerät nämlich die Regulation des Botenstoffes Noradrenalin außer Kontrolle. Diese Entgleisung ist auch für viele der bereits genannten Erscheinungen beim Methadonentzug verantwortlich. Indem Clonidin nun die Ausschüttung genau dieses Botenstoffs hemmt, lindert es eben auch viele der unangenehmen Begleitsymptome beim Methadonentzugs Ein weiterer infrage kommender und dem Clonidin verwandter „Noradrenalin-Hemmer“ ist Lofexidin (Britlofex).
Es ließen sich sicher noch weitere Optionen zur Linderung von Symptomen anführen, wie zum Beispiel die Neuro-Elektrische Stimulation (NES). Das wichtigste Hilfsmittel neben all den genannten und ohne Zweifel segensreichen Möglichkeiten ist und bleibt aber: eine begleitende und psychosozial ausgerichtete Therapie, die sich gemeinsam mit dem Entzugswilligen zum Beispiel den Suchtursachen und den Instrumenten zur Abstinenzbewältigung widmet.
Methadonentzug zuhause oder in der Klinik?
Es dürfte bis zu dieser Stelle klar geworden sein, dass ein Methadonentzug alles andere als trivial ist. Es kann viel falsch gemacht werden – sowohl, was die Symptombehandlung im Einzelnen und die Wahl sowie Kombination der hierfür in Betracht kommenden Medikamente angeht als auch im Hinblick auf Dosierungsfragen, Wechselwirkungen oder dem Absetzen von Substituten und anderen Mitteln. Das abrupte Absetzen von Clonidin kann zum Beispiel eine lebensgefährliche Blutdruckkrise auslösen. Mit anderen Worten: Der Methadonentzug gehört in ebenso fachlich qualifizierte wie erfahrene Hände. Oder anders ausgedrückt: Er ist nichts für laienhaftes „Do it yourself“ zuhause.
Ein Methadonentzug ist bei besonders stabilen Rahmenbedingungen im persönlichen Bereich sowie im sozialen Umfeld des Betroffenen sicher auch ambulant möglich – eine entsprechende suchtmedizinische und therapeutische Betreuung vorausgesetzt. Am wirkungsvollsten kann er aber in einer Klinik geleistet werden. Denn hier ist eine Betreuung rund um die Uhr gewährleistet, so dass bei einer krisenhaften Zuspitzung sofort eingegriffen werden kann. Auch sind Patienten hier losgelöst von ihrem Alltag und sozialen Umfeld mit all seinen Konflikten, Existenznöten und sonstigen Problemen. Dies macht es viel besser möglich, sich ganz auf den Entzug und die psychosozial ausgerichteten Therapien zu konzentrieren. Letztere sind in einer entsprechenden Fachklinik ein selbstverständlicher und unabdingbarer Bestandteil der angebotenen Leistungen. Hinzu kommt in einer Klinik der sicher auch hilfreiche Austausch mit anderen „Leidensgenossen”. Nicht umsonst sind Entzugsbehandlungen in Fachkliniken daher unter dem Strich kürzer, effektiver und auch nachhaltiger.