Tavor® ist der Handelsname für eines der vor allem in Deutschland gebräuchlichsten Arzneimittel zur Behandlung von Angst-, Erregungs- und Spannungszuständen sowie Schlafstörungen. Sein Wirkstoff heiß „Lorazepam“ und gehört zu den Benzodiazepinen. Wie alle Benzodiazepine birgt auch Tavor® ein hohes Abhängigkeitspotenzial – beginnend bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Einnahme und ganz besonders bei Dauermedikation. Dadurch bedingt kommt es beim abrupten Absetzen des Präparats zu Entzugserscheinungen, die je nach Höhe der Tagesdosis (z. B. länger als 1 Jahr 6 mg), quälend, rückfallträchtig und auch gefährlich sein können. Deshalb gibt es beim Absetzen aller Benzodiazepine eine goldene Regel: Die Einnahme sollte immer nur langsam und ausschleichend eingestellt werden und IMMER unter ärztlicher Aufsicht erfolgen!
Dies für sich allein genommen löst aber noch nicht das eigentliche Problem. Denn für die wiederholte und länger währende Einnahme von Tavor® gibt es sicher einen tieferliegenden Grund. Daher sollte das Vorgehen beim Ausschleichen und Absetzen von Tavor® immer in einen ganzheitlichen Behandlungsplan eingebettet sein. Nun die gute Nachricht: Wenn hierbei einige Punkte berücksichtigt werden, ist bei einer kurzen Abhängigkeitsdauer dem Loskommen von Benzodiazepinen, wie Tavor®, laut „Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen“ die günstigste Prognose im Vergleich zu allen anderen Suchtmittelabhängigkeiten beschieden.
Es muss an dieser Stelle ausdrücklich davor gewarnt werden, Benzodiazepine wie z.B. Tavor® alleine und ohne Absprache mit dem Arzt nach längerer Einnahme (länger als 2 Wochen) plötzlich abzusetzen. Ähnlich wie beim Alkohol kann es andernfalls zu potentiell lebensbedrohlichen Entzugssyndromen wie einem Delirium oder Krampfanfällen kommen.
Wie kann ich den Konsum nach Plan ausschleichen lassen?
Bevor man einen Plan hat, muss man ihn erst einmal schmieden. Hierzu gehört es zwangsläufig, Vorüberlegungen anzustellen. Die vielleicht wichtigste beim Plan zum Absetzen von Tavor® ist: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Denn ein solches Vorhaben ist fordernd und belastend und gelingt sicher eher in einer Phase, die frei von z. B. außergewöhnlichen Stressfaktoren ist. Mindestens ebenso wichtig ist es, sich mental auf dieses Vorhaben einzustellen. Denn das Ausschleichen von Tavor® erfordert vor allem zweierlei: Zeit und Geduld!
Der nächste Schritt sollte darin bestehen, den Arzt des Vertrauens oder zumindest eine auf stoffliche Süchte spezialisierte Ambulanz bzw. Beratungsstelle zu konsultieren. Dort kann man weitere wichtige Fragen klären, wie zum Beispiel, ob das Ausschleichen ambulant oder besser stationär in einer Fachklinik erfolgen sollte. Ein stationärer Aufenthalt hat den Vorteil, dass sich der Betroffene nicht selbst um einen Plan kümmern muss. Außerdem kann Tavor® dort in der Regel schneller verringert und das Auftreten von Entzugserscheinungen intensiver behandelt werden. Fachkliniken bieten darüber hinaus die Möglichkeit, bereits während des Entzugs die Grunderkrankungen (z. B. Ängste, Schlafstörungen) behandeln zu lassen.
Die ambulante Variante kommt infrage, wenn Einnahmedauer und Höhe der Tagesdosis von Tavor® eher leichtere Entzugserscheinungen erwarten lassen. Außerdem sollte neben einer gewissen persönlichen Stabilität und Unterstützung durchs soziale Umfeld auch die Bereitschaft zu regelmäßigen Arzt-Besuchen sowie zur Inanspruchnahme einer Psychotherapie bestehen. Letztere sollte dazu dienen, den Ursprungsgrund für die Einnahme von Tavor® herauszufinden und zu therapieren.
Wer nun an dieser Stelle eine konkrete Anleitung zum Ausschleichen erwartet, muss leider enttäuscht werden. Dies ist schlicht und ergreifend nicht möglich, denn jeder Plan zum Ausschleichen muss nach den jeweiligen Gegebenheiten des Betroffenen individuell „gestrickt“ werden. Dennoch können hier einige Maßgaben aus der klinischen Praxis vorgestellt werden: Ausschleichen bedeutet eine graduelle Dosis-Reduktion über einen Zeitraum von mindestens mehreren Wochen bis Monaten. Das Ziel ist ein konstanter, stetiger und langsamer Abfall der Blut- und Gewebskonzentration von Tavor®, damit sich der Gehirnstoffwechsel möglichst „sanft“ wieder normalisieren kann.
Dabei hat sich bei einem relativ kurz wirkenden Benzodiazepin wie Tavor® (mittlere Halbwertzeit) folgendes bewährt: Der Betroffene wird zunächst schrittweise und in entsprechend umgerechneter Dosis auf ein anderes, lang wirksames Benzodiazepin (z. B. Clonazepam oder Diazepin, siehe unten) umgestellt. Je nach Schwere der Abhängigkeit wird bereits während beziehungsweise nach Abschluss der Substitution mit der eigentlichen Dosisreduktion begonnen.
Die deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (https://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/pharmakologie-und-behandlung/benzodiazepine.html) befürwortet indes gerade nicht die Umstellung auf ein lang wirkendes Benzodiazepin, sondern auf ein gut teilbares Präparat aus dieser Wirkstoffgruppe mit mittlerer Halbwertzeit. Begründung: Die mittlere Halbwertzeit habe den Vorteil, dass kein Kumulativeffekt (keine Dosiserhöhung) durch einen längeren Verbleib im Körper aufgrund einer langen Halbwertzeit auftrete. Es gibt Fachkliniken, die in diesem Sinn deshalb zum Beispiel auch auf Oxazepam setzen. Dies zeigt vor allem eins: Die Wahl des Substitutionsmittels, die Umrechnung der adäquaten Dosis sowie das individuell am besten geeignete Entwöhnungsschema ist alles andere als trivial. Insofern sollten Anleitungen zum „Selbermachen“ mit Vorsicht begegnet und auf jeden Fall suchtmedizinisch von einem entsprechend qualifizierten Arzt abgesichert werden.
Welche Symptome treten dabei auf?
Ziel des Ausschleichens ist es, dass Entzugserscheinungen deutlich abgeschwächt bis gar nicht auftreten. Dennoch kann nie ausgeschlossen werden, dass die folgenden, typischen Symptome trotzdem Beschwerden bereiten: Schlafstörungen, Angst, labile bis depressive Stimmungslage, muskuläre Probleme (Schmerzen, Zuckungen), Zittern, Kopfschmerzen, Magenprobleme (Übelkeit, Brechreiz), Appetitverlust, Überempfindlichkeiten gegen Geräusche, Licht, Geruch und Berührung, verändertes Bewegungsempfinden, vermehrtes Schwitzen, verändertes und/oder verschwommenes Sehen, Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmacksinns sowie – eher selten – Delirium mit psychotischen Symptomen und epileptische Anfälle (Quelle: https://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/pharmakologie-und-behandlung/benzodiazepine.html).
Tavor® ausschleichen lassen – mit Diazepam
Neben des bereits oben erwähnten aber nicht unwidersprochenen Vorteils der langen Halbwertzeit besteht der Nutzen des Benzodiazepin-Wirkstoffs Diazepam als Substitutionsmittel vor allem in Folgendem: 1 mg Tavor® entsprechen 10 mg Diazepam. Bei einer Tagesdosis von zum Beispiel 6 mg Tavor® wäre also die umgerechnete Menge an Diazepam 60 mg. Diese deutlich höhere Grammzahl der Entsprechungsmenge von Diazepam ermöglicht eine ausgesprochen langsame Dosisreduktion in sehr kleinen Schritten. Bei Tavor® wäre dies nicht möglich. Hinzu kommt, dass es Diazepam in zahlreichen Darreichungsformen gibt, so als teilbare(!) Tabletten mit 2 mg, 5mg und 10 mg sowie als Sirup, Saft und Tropfen (1 Tropfen = 0,5mg). Die Dosisreduktion kann also sehr fein abgestuft werden.
Tavor® ausschleichen lassen – mit Opipramol
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIQ) verweist im Rahmen seines gesetzlichen Informationsauftrags (gesundheitsinformation.de) darauf, dass bislang der Benefit von Substitutionsmitteln beim Benzodiazepin-Entzug ganz generell noch nicht hinreichend bewiesen werden konnte. Die oben beschriebene klinische Praxis hinsichtlich des Einsatzes von Diazepam und anderer Benzodiazepine mögen diesem Verweis zwar entgegenstehen. Dennoch verdient es an dieser Stelle Erwähnung, dass der Verweis des IQWIG auf eine unbefriedigende Studienlage in diesem Bereich auch den Einsatz von Antidepressiva und Antiepileptika als unter Umständen infrage kommende Ersatzmedikamente miteinschließt. Dies ist hier insofern relevant, da es sich bei Opipramol um ein trizyklisches Antidepressivum mit beruhigenden, stimmungshebenden sowie angst- und spannungslösenden Wirk-Eigenschaften handelt.
Dementsprechend findet Opipramol zum Beispiel in der Pharmazeutischen Zeitung des Bundesverbandes Deutscher Apotheker Erwähnung, und zwar als bessere Alternative zu Benzodiazepinen (unter Verweis auf die S3-Leitline „Angststörungen“). Eine Empfehlung als Substitutionsmedikament beim Benzodiazepin- bzw. Tavor®-Entzug sucht man indes vergebens in einschlägigen Fach-Quellen. Anders stellt sich die Situation in Betroffenen- und Selbsthilfe-Foren (z. B. adfd.org, psychic.de, EvE&Rave) dar. Hier wird häufiger über den Einsatz von Opipramol als Substitut beim Tavor®-Entzug diskutiert – allerdings mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und keineswegs eindeutig befürwortenden Empfehlungen. Ob es sich wirklich als Ersatzmedikament beim Tavor-Entzug eignet, darf bezweifelt werden. Denn die Wirkung von Opipramol gegenüber Tavor® tritt – zumindest bei den meisten Patienten – deutlich langsamer ein. Außerdem kann es in der Phase des Übergangs zu Wechselwirkungen kommen. Somit zeigt auch dieses Beispiel, dass der Tavor®-Entzug nichts für den Laien ist und stattdessen besser in entsprechend qualifizierten fachlichen Händen aufgehoben ist.