Wer unter einer Abhängigkeit des Schlaf- und Beruhigungsmittels Tavor leidet, wird sich vermutlich irgendwann einmal mit der Frage auseinandersetzen: Kann es so weitergehen? Sollte ich einen Entzug machen? Diese Fragen stellen sich schon allein deshalb irgendwann, da die Langzeiteinnahme von Tavor nicht ohne Folgeschäden bleibt (z. B. gefühlsmäßige Abstumpfung, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, körperliche Schwäche, verminderte Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung). Aus Scham, sich zu seiner Sucht bekennen, sowie aus Angst vor den unangenehmen Entzugserscheinungen schrecken viele jedoch davor zurück, den nächsten Schritt zu wagen. Dabei ist dieser unabdingbar, wenn man dauerhaft vom Suchtmittel loskommen möchte.
Wie läuft ein Entzug ab, und wie lange dauert er?
Ein Entzug dauert in der Regel mehrere Wochen bis Monate – das ist beispielsweise abhängig von der Schwere der Suchterkrankung, der psychischen und körperlichen Verfassung des Patienten sowie vom generellen Verlauf des Entzugs. Währenddessen durchläuft der Betroffene vier verschiedene Phasen mit unterschiedlichen Behandlungsschwerpunkten.
Als Entgiftung bezeichnet man die Phase, in der der Körper sich von dem Suchtstoff befreit. Hier treten vor allem körperliche Entzugssymptome mit den entsprechenden möglichen Komplikationen auf, so dass diese Phase unbedingt ärztlich überwacht werden sollte. Zur Unterstützung können dem Patienten Medikamente (z.B. leichtere Antidepressiva) verabreicht werden, um die Entzugssymptome erträglicher zu gestalten. In manchen Fachkliniken findet außerdem eine Substitution statt: Das bedeutet, dass der Patient auf ein anderes, ähnliches Medikament (z.B. Diazepam oder Oxazepam) umgestellt wird, welches aufgrund besser abstufbarer Darreichungsformen und eines günstigeren Wirkprofils (z. B. Halbwertzeit) deutlich schonender reduziert werden kann.
Da eine rein körperliche Entgiftung alleine in der Regel keine dauerhafte Abstinenz verspricht und eine hohe Rückfallgefahr besteht, hat sich bereits seit vielen Jahren der sogenannte qualifizierte Entzug etabliert. Hierbei wird noch während der Entgiftung mit begleitenden Therapiemaßnahmen (Psycho-, Achtsamkeits-, Bewegungstherapie u. Ä.) begonnen. Dabei geht es nicht nur um die Linderung der akuten Entzugserscheinungen, sondern auch darum, die Gründe für die Suchterkrankung (z. B. zugrundeliegende Angststörung) aufzudecken und langfristig zu verarbeiten. Ebenso lernt der Betroffene, alternative Handlungsmuster, Reaktionen oder Hilfestellungen anzuwenden, die ihn beim Auftreten von außergewöhnlichen Schwierigkeiten und Belastungen bisher dazu veranlasst hatten, das Suchtmittel einzunehmen. Durch diese therapeutisch begleitete Auseinandersetzung mit der eigenen Suchterkrankung schon während der Entgiftungsbehandlung wird die Prognose hinsichtlich einer dauerhaften Abstinenz deutlich verbessert. In der Regel zieht sich diese Phase über einen Zeitraum von etwa drei Wochen hin. Je nachdem, wie hoch die Dosis der eingenommenen Benzodiazepine vor der Behandlung war und wie das individuelle Ausdosierungschema gestaltet wird, kann sich dieser Zeitraum jedoch auch um mehrere Wochen verlängern
Als dritte Phase folgt dann die Entwöhnungsphase, die bei Bedarf um eine anschließende Adaptionsbehandlung erweitert werden kann. Hierbei steht die Reintegration des Patienten in seinen beruflichen und privaten Alltag im Mittelpunkt. Erarbeitete Maßnahmen und Regeln sollen dann umgesetzt werden. Dafür werden meist einige Monate benötigt. In der vierten Phase, der abschließenden Nachsorgebehandlung, wird der Betroffene weiterhin durch die Fachärzte und Psychologen in seinem Alltag dabei unterstützt, nicht rückfällig zu werden. Gleichzeitig stellen sie kompetente Ansprechpartner dar, die insbesondere in der ersten Zeit nach der Entwöhnung wertvolle Ratschläge geben können.
Ist ein Entzug zu Hause sinnvoll?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Es kommt darauf an. In einigen Fällen (bei nicht so langer Einnahme von nicht so hohen Dosen) kann es – nur nach ausgiebiger Rücksprache und in engmaschiger Begleitung durch den Hausarzt! – durchaus möglich sein, einen Entzug zu Hause erfolgreich durchzuführen. In schwereren Fällen, das heißt, besonders bei längerer Einnahme von hohen Dosen, ist aber ein kontrollierter und professioneller Entzug in einer Fachklinik zu bevorzugen. Hauptgrund dafür ist, dass der Betroffene zum einen aus seinem gewohnten Umfeld geholt wird, das er automatisch mit seiner Suchterkrankung verbindet. Zum anderen stehen ihm rund um die Uhr Ärzte, Psychotherapeuten und Ansprechpartner zur Verfügung, die auch auf schwerwiegendere Entzugssymptome umgehend reagieren können. Diese können, ebenso wie beim Alkoholentzug, potentiell lebensbedrohlich sein. Außerdem sollten die begleitenden therapeutischen Maßnahmen nicht unterschätzt werden, die während des qualifizierten Entzugs stattfinden. Sie sind zwingend notwendig, um langfristige Erfolge erzielen zu können.
Körperliche Entzugserscheinungen und Symptome
Zu den am häufigsten auftretenden, körperlichen Symptomen während eines Tavor-Entzugs zählen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, veränderte Sinneswahrnehmungen, Schweißausbrüche sowie Muskel- und Kopfschmerzen. Einige von ihnen treten insbesondere in den ersten Phasen des Entzugs auf, andere halten deutlich länger an – das ist von Patient zu Patient verschieden. In besonders schweren Fällen kann es außerdem auch zu epileptischen Anfällen kommen, die jedoch gut behandelt werden können, sofern umgehend ärztliche Hilfe hinzugezogen wird. Eine weitere potentiell lebensbedrohliche Komplikation, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erfordert, ist die Entwicklung eines Delirs.
Kopfschmerzen als häufiges Symptom
Viele Betroffene klagen im Verlauf des Entzugs immer wieder über Kopfschmerzen. So unangenehm und lästig dieses Symptom auch ist – es ist leider „normal“ und zählt als häufige Entzugserscheinung zu einem Suchtmittelentzug mit dazu. Zum Trost lässt sich aber darauf verweisen, dass diese Erscheinung heute gut behandelbar ist.
Psychische Symptome
Neben den körperlichen Entzugserscheinungen treten auch einige psychische Symptome auf: Desorientiertheit, Aggressionen, Halluzinationen, Angstzustände sowie Schlafstörungen und Alpträume zählen dazu. Die Ärzte einer Fachklinik können in solchen Fällen aber durch die Verabreichung entsprechender Medikamente (leichte Antidepressiva zum Beispiel) erheblich dazu beitragen, dass die Symptome gelindert und dadurch erträglicher für den Patienten werden. Die Angst vor derlei „Komplikationen“ sollte Sie also nicht davon abhalten, einen Entzug zu beginnen!
Erfahrungen mit Tavor-Entzug
Zunächst sollte sich jeder Betroffene deutlich machen, dass Verlauf und Erfolg eines Entzugs genauso individuell und unterschiedlich sein können wie die Menschen, die unter einer Abhängigkeitserkrankung leiden. Wer sich also auf die Reise ins Internet und auf die Suche nach diversen Erfahrungsberichten, Meinungen und Ratschlägen anderer Betroffener begibt, sollte vor allem versuchen, sich nicht abschrecken zu lassen.
In vielen verschiedenen Foren wie beispielsweise drugscout.de oder psychic.de schildern Betroffene, wie sie den Entzug erlebt haben, was gut geklappt hat und was nicht, wie es ihnen mittlerweile geht – und auch, ob sie nach wie vor ohne das Suchtmittel zurechtkommen. So schreibt Lea467 im Forum drugscout.de:
„Ich habe gerade einen Tavor-Entzug hinter mir.Es ist die Hölle,aber ich kann Euch sagen,es lohnt sich….Habe acht Jahre ca.6mg am Tag genommen,mir ging es immer gut aber ich wollte nicht mehr abhängig sein…und ich hab’s tatsächlich geschafft….War 6 Wochen in einer geschlossenen…und 7 Wochen in einer psychosomatischen Fachklinik.Im September gehe ich für 26 Wochen in Reha…und ich freue mich.“
Abgesehen von negativen Erfahrungsberichten, die natürlich auch zu lesen sind, können vor allem positive Berichterstattungen zum Tavor-Entzug durchaus Mut machen – und anderen Betroffenen dabei helfen, sich ihrer Sucht zu stellen:
„Mein Arzt hat mir damals, als ich von selbst Tavor absetzen wollte gesagt, dass der Entzug schlimmer als bei Heroin ist. Nun kann ich nicht beurteilen, wie der Entzug bei Heroin ist, weil ich das nie genommen habe. Aber ich kann dir sagen, man kommt wirklich weg von dem Zeug, wenn man will. Ich drücke dir ganz fest die Daumen das du es auch schaffst!“
(Jürgen, drugscout.de)