Zur Absurdität von Impfskepsis und steigendem Suchtmittel-Konsum in Zeiten von Corona

Zur Absurdität von Impfskepsis und steigendem Suchtmittel-Konsum in Zeiten von Corona

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Im Januar 2020, also ziemlich genau vor zwei Jahren, kamen die ersten Berichte über einen neuartigen Coronavirus auf. Seitdem ist Sars-CoV-2, so die korrekte Bezeichnung dieses neuen Virus, zum weltweit beherrschenden Thema geworden. Da sollte man meinen, dass dieses Sujet mittlerweile nun wirklich erschöpfend und in allen Facetten abgehandelt ist. Und dennoch gibt es immer wieder Aspekte und Blickwinkel, die entweder noch gar nicht oder zumindest nur selten beleuchtet wurden. Genau einem solchen bisher vernachlässigten Aspekt beziehungsweise Blickwinkel will ich meinen heutigen Blogbeitrag widmen.

Corona – ein Lehrstück über menschliche Widersprüchlichkeit und Absurdität

Nach meiner Wahrnehmung ist die durch Corona ausgelöste Krise – neben vielem anderen – ganz besonders auch ein Lehrstück über die Widersprüchlichkeit und Absurdität der menschlichen Natur. Zugespitzt ausgedrückt meine ich damit folgendes: Da gibt es zum Beispiel Menschen, die haben gerade ihr zehntes Glas Bier geleert und wettern im selben Atemzug gegen die Corona-Impfung: noch nicht genug erforscht und ausgereift, zu viele Nebenwirkungen, verhindert eine Ansteckung nicht zuverlässig genug bis hin zu dem sicher krudesten Argument, dass es Corona in Wirklichkeit gar nicht gäbe.

Wer hat’s erfunden? – Widersprüchlichkeit mit tragischem Verlauf

Was werden sich die Coronaleugner nun auf die Schulter klopfen, dass selbst unser Chef-Virologe, Christian Drosten, jüngst eingeräumt hat: Ich habe die Pandemie lediglich erfunden, um meinem Podcast zu mehr Erfolg zu verhelfen. Klitzekleines Detail am Rande: Die Äußerung ist reine Satire und in einem Anflug von Selbstironie entstanden. Warum soll dies einem seriösen Wissenschaftler nicht auch mal gestattet sein? Ich finde, dass macht Herrn Drosten menschlich und sympathisch. Tragisch ist indes, und das treibt die Absurdität und Widersprüchlichkeit der menschlichen Natur auf den Höhepunkt, dass einige ihre vehemente Ignoranz gegenüber der Corona-Wirklichkeit mit dem Leben bezahlen mussten, weil sie selbst an Covid-19 schwer erkrankten und verstarben. Und ja, ich empfinde auch für solche Menschen mehr Empathie als Schadenfreude.

Impfquote zu gering – Alkoholkonsum steigt

Doch zurück zum Thema „Impfen“ und „Alkohol“. Ich will hier kein Plädoyer halten nach dem Motto: Impfen gut, Alkohol schlecht. Dafür sind die Zusammenhänge viel zu komplex. Nicht umsonst ringt die Politik gerade mühsam um das Für und Wider einer allgemeinen Impfpflicht. Doch bezeichnend ist: Die Impfquote in Deutschland ist nach wie vor nach einhelliger Expertenmeinung zu gering. Dem steht gegenüber, dass der Alkoholkonsum durch die Coronakrise steigt. So ist auf der Seite „Neurologen und Psychiater im Netz“, dem zentralen Online-Organ dieser medizinischen Fachdisziplinen, nachzulesen, dass offenbar jeder Dritte wegen Corona mehr Alkohol tränke.

Wenn Impfen die gleichen Nebenwirkungen wie Alkohol hätte…

Im Gegensatz zu den in der Tat noch relativ jungen Impfstoffen gegen Corona sind die unerwünschten Nebenwirkungen von Alkohol hinlänglich bekannt. Jede oder jeder, die oder der schon einmal zu tief ins Glas geschaut hat, wird aus persönlicher leidvoller Erfahrung Erscheinungen kennen, wie zum Beispiel:

Gleichgewichts- und Artikulationsstörungen, Einschränkung des Gesichtsfelds und Reaktionsvermögens, erhöhter Puls, Störung des Tiefschlafs, Ausfall des Kurzzeitgedächtnisses (der berüchtigte „Filmriss“), morgendliche Katererscheinungen aufgrund von Demineralisierung und des Abbaus giftiger Fuselalkohole, Zittern, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Auch die Langzeitfolgen von regelmäßig erhöhtem Alkoholkonsum sind alles andere als ein Geheimnis. Fast sämtliche lebenswichtigen Organe können zum Teil irreparable Schäden davontragen: das Gehirn, das Herz, die Nieren, die Speiseröhre, der Magen, der Darm, die Bauspeicheldrüse und natürlich die Leber.

Hand aufs Herz, wer würde sich noch impfen lassen, wenn solche unerwünschten Nebenwirkungen mit der Anwendung der bisher bekannten Corona-Impfstoffe assoziiert wären?

Impfen – eine Frage von Risiko und Nutzen

Dabei habe ich durchaus am eigenen Leib verspürt, dass auch die Corona-Impfung keineswegs ganz ohne ist. Bei den ersten beiden Malen lag ich jeweils fast eine Woche mit Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost und stark verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit flach.

Darüber hinaus hält sich bei Skeptikern und Gegnern der Corona-Impfung hartnäckig das Argument, es sei aufgrund ihrer Neuheit noch viel zu wenig über mögliche Langzeitfolgen bekannt. Impf-Experten halten dem entgegen, dass bei dieser Art der Krankheitsvorsorge Langzeitfolgen ganz generell, also auch bei anderen Impfungen, nicht bekannt beziehungsweise bisher nicht aufgetreten seien. Ich persönlich neige dazu, den Experten Glauben zu schenken. Doch, ob ihre Einschätzung wirklich zutreffend ist, kann ich mit letzter Sicherheit natürlich nicht wissen. Was ich aber weiß, ist, dass das Leben nun mal so oder so nicht ohne Risiken ist.

Insofern nehme ich ein gewisses Restrisiko einfach in Kauf. Denn ist die Anwendung beziehungsweise Einnahme von Impf- und Arzneistoffen nicht immer eine Frage der Abwägung zwischen Risiko und Nutzen? Außerdem machen aktuell Berichte die Runde, dass bei Corona selbst milde Krankheitsverläufe Schäden an inneren Organen mit sich bringen können. Vom Risiko des Long-Covid-Syndroms bei schweren Verläufen will ich erst gar nicht reden. Da habe ich mich dann doch lieber impfen lassen und zwei nicht ganz so gute Wochen sowie ein möglicherweise sehr hypothetisches Restrisiko im Hinblick auf Langzeitfolgen in Kauf genommen. Übrigens möchte ich – nicht ohne Augenzwinkern – berichten: Bei der dritten Impfung wusste mein Körper dann offensichtlich, wie es geht, und hat kaum gemuckt.

Risiko-Nutzen-Abwägung beim Alkohol

Wie sieht nun die Risiko-Nutzen-Abwägung beim Alkohol aus? Hier eine persönliche Beobachtung aus dem Karneval: Wie oft habe ich es schon erlebt, wie für ein paar beschwingte alkoholschwangere Stunden ein bis zwei verkaterte Tage in Kauf genommen wurden. Ist das etwa ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen? Ich habe es selbst lange genug und bis zum Exzess so exerziert und wage es heute, nach über sieben Jahren Abstinenz, zu bezweifeln, dass dies damals für mich ein guter „Deal“ war.

Freiwilliger „Genuss“ von Suchtmitteln trotz Wissen um die Schädlichkeit

Kommen wir zum Ausgangspunkt dieses Blogbeitrags zurück, das heißt zum Aspekt der Widersprüchlichkeit und Absurdität der menschlichen Natur. Wie oft nehmen wir freiwillig Genuss- und Suchtmittel zu uns, obwohl wir ganz genau wissen, dass wir uns und unserem Körper damit – zumindest auf Dauer gesehen – nichts Gutes tun. Alkohol ist hier ja nur ein Beispiel für viele weitere Stoffe, wie Nikotin, Kokain, Cannabis, Benzodiazepine oder Opioide. Auch Stoffe, die nicht als typische Suchtmittel verrufen sind, wie zum Beispiel Zucker, können den Körper bei einem Zuviel, Zu-häufig und Zulange genauso schädigen.

(Freiwilliger) Verzicht auf Medikamente aus Angst vor Nebenwirkungen

Andererseits gibt es Studien zur Einnahme von Medikamenten. In Fachkreisen bezeichnet man diesen Bereich als Compliance. Immer wieder stößt man in diesem Zusammenhang darauf, dass rund die Hälfte aller verschriebenen Medikamente falsch, unregelmäßig oder aus Angst vor Nebenwirkungen gar nicht eingenommen werden. Selbst bei einer so lebensgefährlichen Erkrankung, wie der Herzinsuffizienz (im Volksmund auch als Herzschwäche bekannt), ist die ausbleibende bis unkorrekte Einnahme von in diesem Fall meist überlebenswichtigen Medikamenten einer der Hauptgründe für eine Krankenhauseinweisung (Hospitalisierung) als Notfall. Und sicher kennen auch Sie Menschen aus Ihrem Umfeld, die quasi jeden Beipackzettel „auswendig lernen“ und schon hierbei die ersten Nebenwirkungen verspüren, obwohl sie das betreffende Medikament noch gar nicht genommen haben und dies dann auch unterlassen.

Wie passen Impfskepsis und der unreflektierte Griff zur „Droge“ zusammen?

Insofern überrascht mich die durchaus verbreitete Impfskepsis keineswegs. Nun wendete ein Freund zuletzt ein, als wir genau hierüber diskutierten: Wenn du Medikamente verschrieben bekommst, bist du bereits krank und setzt dich deshalb einem potenziellen Nebenwirkungsrisiko aus. Doch, wenn du der Empfehlung zur Impfung gegen Corona folgst, setzt du dich einem potenziellen Nebenwirkungsrisiko aus, obwohl du gesund bist. Das macht einen Unterschied. Stimmt. Doch ist es beim Konsum von Genussmitteln und potenziellen Suchtstoffen nicht genauso? Und greifen wir als Gesunde oder Gesunder oft nicht viel zu unreflektiert zum Alkohol, zur Zigarette oder zum Koks?

Ein weiteres Beispiel: „Beipackzettel“ Kokain

In einem Blogbeitrag, der schon etwas älter ist, habe ich mal einen „Beipackzettel“ zu Kokain geschrieben. Hier die Auflistung der von mir zusammengetragenen „Nebenwirkungen“:

  • Das Pulver wirkt nur ca. eine Stunde. Danach geht es Ihnen erst einmal deutlich schlechter. Stichwort „Hangover“. Es sei denn, Sie „sniefen“ zeitnah die nächste Linie – je nachdem mehrmals am Tag.
  • Das Pulver gibt es zwar an jeder Ecke. Sein Besitz ist (neben Produktion und Handel) aber illegal. Sie riskieren eine Strafanzeige.
  • Für die Menge des im Pulver enthaltenen Wirkstoffs gibt es keine pharmakologischen Vorgaben. Mal ist das Pulver „reiner“, mal weniger. Entsprechend ist es mal mehr oder mal weniger gestreckt – im günstigsten Fall bloß mit Zucker oder Backpulver, im weniger günstigen Fall zum Beispiel mit Levamisol (Tierentwurmungsmittel, beim Menschen gehirnschädigend), Lidocain (Betäubungsmittel, herzschädigend) oder Phenatecin (vom Markt genommenes Schmerzmittel, krebserregend, nierenschädigend).
  • Die Risiken und Nebenwirkungen sind nicht ohne: z. B. Dehydrierung, starker Gewichtsverlust, körperliche Überlastung, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckanstieg (durch einen stark gefäßverengenden Effekt) sowie Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zum lebensgefährlichen Schock. Bei langjährigem, regelmäßigem Konsum drohen darüber hinaus bleibende körperliche Spätschäden, wie z. B. Schädigung der Nasenschleimhäute, Blutgefäße, Leber, Nieren und des Herzens sowie sexuelle Funktionsstörungen. Unerwünschte psychische Folgen können – durchaus häufig – Schlafstörungen, Hyperaktivität, Depressionen, Angststörungen, Burn-out oder Wahnvorstellungen sein.
  • Zusammen mit Alkohol, Nikotin, Speed, Koffein, Energy Drinks, Ecstasy, Cannabis, bestimmten Medikamenten (MAO-Hemmer, Sympathomimetika, Betablocker, trizyklische Antidepressiva) und besonders Heroin können lebensgefährliche Wechselwirkungen entstehen (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herzstillstand).
  • Das Pulver birgt – bei entsprechender Veranlagung – ein starkes Suchtpotenzial gepaart mit sozialem Rückzug bis hin zur totalen Isolation.
  • Die „Tagestherapiekosten“ bewegen sich bei regelmäßiger und lückenloser Anwendung zwischen 50,- bis über 100,- Euro – je nach Reinheitsgrad. Sie sind weder „erstattungsfähig“ bei der Krankenkasse noch absetzbar beim Finanzamt. Sie müssen also komplett aus eigener Tasche bezahlt werden. Nicht selten kommt es daher zu finanziellen Problemen.

Auch in diesem Fall würde die Impfquote wohl gegen null tendieren, wenn beim Impfen solche oder ähnliche Nebenwirkungen drohen würden.

Warum nur Demos gegen das Impfen und nicht gegen Suchtmittel?

Verstehen Sie nun, was ich mit Widersprüchlichkeit und Absurdität der menschlichen Natur meine? Da gibt es Zeitgenossen, die setzen sich freiwillig und gesund den Nebenwirkungsrisiken von Suchtmitteln aus. Und wenn es ums Impfen gegen Corona geht, scharen sich Menschen auf Straßen zusammen und demonstrieren dagegen. Grundsätzlich muss das in einer Demokratie auch möglich sein – selbstverständlich unter Einhaltung der Gesetze und behördlichen Auflagen. Aber warum gehen Menschen nicht auch mal gegen den weit verbreiteten Konsum von Suchtmitteln und die dadurch verursachten volkswirtschaftlichen Folgekosten auf die Barrikaden?

In diesem Zusammenhang nur einmal so zur Information: Auf der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betriebenen Seite https://www.kenn-dein-limit.de/ ist von durch schädlichen Alkoholkonsum verursachten ökonomischen Kosten in Höhe von 57,04 Milliarden Euro pro Jahr die Rede. Und die deutsche Hauptstelle für Suchtfragen beziffert die jährlichen Kosten, die auf das Rauchen zurückgehen, auf jährlich sogar 97,24 Milliarden Euro.

Ein Appell zur Nachdenklichkeit

Der ein oder andere von Ihnen mag mir jetzt insgeheim vorwerfen, ich sei wohl ein Asket und/oder Spaßverderber. Beides bin ich in keiner Weise, und ich möchte hier auch keinen an den Pranger stellen. Dennoch: Impfskepsis bei gleichzeitig steigenden Suchtmittelkonsum empfinde ich als widersprüchlich und absurd. Und ich würde mich freuen, wenn mein Beitrag in dieser Hinsicht ein wenig zum Nachdenken anregt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Über den Autor
Autor Frank Frank
Im Sommer 2018 bin ich von Lifespring mit der Redaktion dieses Blogs betraut worden und der Autor dieses Beitrags. Mein Name ist Frank. Seit vielen Jahren arbeite ich als freier Redakteur, Texter und Lektor. Auch ich habe eine „Suchtkarriere“ durchlebt. Bei mir war es der Alkohol. Seit 7 Jahren bin ich abstinent. Ich will hier nicht den häufig bemühten Himmel-Hölle-Vergleich bemühen. Denn beim Durchleiden meiner Sucht war nicht alles Hölle. Und jetzt, im Zustand der „Enthaltsamkeit“, ist nicht nur der Himmel auf Erden. Trotzdem war der Ausstieg aus einem alkoholschwangeren Leben die beste Entscheidung, die ich in jüngerer Zeit getroffen habe. Ich habe meine Freiheit und einen überwiegend klaren Kopf zurückgewonnen – auch wenn das Weltgeschehen mit nüchternem und enteuphorisiertem Blick nicht immer leicht zu ertragen ist. In diesem Blog möchte ich unter anderem über aktuelle Themen aus der Suchtforschung, aus dem Klinikalltag von Lifespring sowie aus den behandelten Suchtindikationen berichten. Ganz besonders möchte ich aber eins: Sie, als Betroffene oder Betroffenen, und Ihre unter Umständen ebenfalls betroffenen Angehörigen, genau da „abholen“, wo Sie der Schuh beziehungsweise die Sucht drückt.
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